Bei manch einem könnte man fast denken, sein neues Staatsoberhaupt sei gewählt worden. Derart viele Deutsche brachen und brechen seit dem Wochenende in Jubelstürme aus, weil die Amerikaner mit einer zarten Mehrheit nicht wollen, dass Donald Trump noch einmal vier Jahre lang ihr Präsident ist. Nun gut, die Freude über dessen Abwahl – ob nun hier oder sonstwo auf der Welt – ist ja nachvollziehbar. Donald Trump war und ist eines Präsidentenamtes unwürdig, das zeigt er nicht zuletzt seit Samstag. Wie ein bockiges Kind weigert er sich, der Wahrheit ins Auge zu schauen.
Wer die letzten vier Jahre nicht auf dem Mond verbracht hat, dürfte allerdings auch davon nicht überrascht sein. Trump hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, wes Geistes Kind er ist. Überraschend ist eher, wie viele Amerikaner das bis heute unterstützen – aus welchen Motiven und wegen welcher Parteipräferenzen auch immer.
Hingegen deutlich weniger nachvollziehbar ist die übertriebene Freude über den Mann, der nun ab Januar im Weißen Haus sitzen wird – so man seinen designierten Vorgänger dort irgendwann, vermutlich gegen dessen Willen, entfernt. Joe Biden wird gefeiert als ein Heilsbringer, als der Mann, der das gespaltene Amerika einen wird, als genau der Präsident, den dieses Land nun dringend braucht. Wirklich?
Zugegeben: Biden wird vermutlich besser geeignet sein für das Amt des US-Präsidenten als Donald Trump, doch diese Latte hängt verdammt tief. Mein vierjähriger Sohn wäre vermutlich besser geeignet für diesen Posten als Trump. Zumindest benimmt er sich deutlich besser.
Wegen Trump freut man sich über Selbstverständliches
Biden spricht davon, dass er "ein Präsident für alle Amerikaner" sein will, der genauso hart für jene arbeiten wird, die nicht für ihn gestimmt haben, wie für die, die es taten. Das klingt zwar nett, ist aber, mit Verlaub, eine Selbstverständlichkeit. Das scheinen viele nur ob der bizarren vergangenen vier Jahre vergessen zu haben. Der erratische Wirrkopf im Weißen Haus hat viele dazu gebracht, sich über Binsenweisheiten zu freuen. Weil Trump verschoben hat, was selbstverständlich war. Deswegen ist gut, dass er bald nicht mehr Präsident ist. Ob es auch gut ist, dass Biden es ist, wird sich erst noch zeigen.
Der Demokrat sollte daran gemessen werden, was er tut, nicht was er sagt – ein bei Politikern viel zu selten beherzigter Maßstab. Seine bisherige politische Karriere gibt kaum Anlass dazu, davon auszugehen, dass er viel bewegen wird. Von 1970 bis 2009 saß Biden im US-Senat und vertrat dort den zweitkleinsten US-Bundesstaat Delaware. Großen Anteil hatte er an einem 1994 verabschiedeten großen Gesetzespaket, dass die angestiegene Kriminalität in den USA bekämpfen sollte und nach Ansicht vieler Beobachter zu deutlich mehr Menschen in den Gefängnissen führte und damit vor allem People of Color traf, die statistisch gesehen deutlich öfter im Gefängnis landen.
Barack Obama als mahnendes Beispiel
Vor allem aber war er acht Jahre lang Barack Obamas Vizepräsident. Und genau der sollte heute als mahnendes Beispiel dienen. Obama startete mit so viel Vorschusslorbeeren ins Amt wie kaum ein anderer Präsident. Er erhielt sogar vorab einen Friedensnobelpreis, den er dann – vorsichtig formuliert – nicht in Ehren hielt. Das Gefangenenlager Guantanamo hat Obama entgegen seiner Versprechen nie geschlossen, unter ihm wurde weiter gefoltert, die weltweiten, völkerrechtswidrigen Drohnenkriege nahmen zu seiner Amtszeit erst richtig Fahrt auf.
Nun ist Obama ein charismatischer Typ, der rhetorisch überzeugen konnte. Biden geht beides eher ab. Umso unverständlicher sind die überoptimistischen Hoffnungen, die auf ihn gesetzt werden. Er übernimmt im Januar ein zutiefst gespaltenes Land, das sein Vorgänger bis dahin immer weiter aufhetzen wird. Eine beachtliche Aufgabe liegt vor ihm. Trump war definitiv der falsche Mann dafür – doch das macht Biden noch nicht automatisch zum richtigen.