"Wir können auch mit George Bush noch vier Jahre leben", heißt es bei Außenpolitikern im Regierungslager. "Aber natürlich wäre uns Kerry lieber." Von ihm würde die Bundesregierung ein Entgegenkommen an die europäischen Partner erwarten, aber vor allem im Stil, weniger in der Substanz der Politik. Umgekehrt fürchten Außenpolitiker schon, dass man Kerry Wünsche nach mehr militärischem Engagement der Partner schwerer abschlagen kann als Bush. Die Sorge, dass Kerry von Deutschland Truppen für den Irak anfordern könnte, hat die Regierung immerhin nicht mehr. Dennoch fürchtet sie, dass die in Opposition zu Bush vereinte deutsche Bevölkerung von Kerry ein Ende der Spannungen mit den USA erwartet - und enttäuscht sein wird.
Offiziell äußert sich die Regierung nicht zu den Wahlen beim Verbündeten. Aber nach dem politischen Konflikt über Irak und der Eiszeit zwischen Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder wird genau analysiert, wie sich die Wahl auswirkt. Das Ergebnis ist die nüchterne Erwartung, dass sich nicht viel ändern wird, egal wer siegt. "Es gibt Unterschiede zwischen ihnen (Bush und Kerry), aber aus unserer Sicht sind die weniger scharf als die meisten in der europäischen Bevölkerung sie wahrnehmen", sagt Karsten Voigt, Koordinator der Regierung für die US-Beziehungen.
"Neuen Stil nicht mit neuer Politik verwechseln"
Kerry hat Umfragen zufolge die Herzen der Europäer gewonnen. Dies hat auch mit seiner Ankündigung zu tun, die Verbündeten stärker einzubeziehen als Bush es tut. "Wir würden mehr Beteiligung und frühere Information erwarten", heißt es im Berliner Regierungslager. Aber auch dort weiß man um die Grenzen von Kerrys Hinwendung zu den Partnern und internationalen Organisationen: Bei allem Willen zur Multilateralität werde sich auch Kerry beispielsweise im Konfliktfall nicht von einem Votum der Vereinten Nationen abhängig machen, glauben Regierungspolitiker. Experten warnen also, nicht Stil und Inhalt der Außenpolitik von Kerry zu verwechseln: "Im Stil ist Kerry besser, aber in der Substanz ist es nicht so klar", fasst Bernhard May, US-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, zusammen. Und selbst ein angenehmerer Umgang nach den Konfrontationen mit Bush birgt nicht nur Vorteile. "Durch ein besseres Klima wird auch das Nein-Sagen schwieriger", wenn die Erwartung an Europa wächst, sagte Peter Rudolf von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Bundeswehreinsatz im Irak kommt nicht in Frage
Lange ging in Berlin das Schreckgespenst um, dass Kerry die Ankündigung wahrmachen und nach seiner Wahl deutsche Soldaten für den Irak fordern würde. William Drozdiak, Direktor des Transatlantik-Zentrums beim German Marshall Fund, sieht für diesen Fall heftige Konflikte voraus: "Wenn sie 'Nein' sagen würden zu Kerry, wäre das Risiko eines 'backlash' gegen Europa in Amerika sehr groß", sagte er. "Dann bestünde das Risiko eines Bruchs im System" der Beziehungen. Doch die Bundesregierung hat immer wieder betont, dass ein Einsatz der Bundeswehr im Irak nicht in Frage kommt.
Inzwischen glaubt die Regierung, dass es zu einer solchen Anfrage nicht kommt. "Alle US-Experten müssten wissen, dass Deutschland und Frankreich keine Truppen schicken werden", sagt Rudolf. Zwar gibt es angeblich keine Vereinbarung mit Kerrys Leuten, das Thema unter dem Teppich zu lassen. Aber spätestens seit einem Treffen von Kerrys möglichem Außenminister Richard Holbrooke mit Schröder im Sommer dürften die Signale klar sein.
Dennoch sehen Experten die Gefahr einer Enttäuschung der Kerry-Hoffnung der Deutschen. "Hier gibt es eine klare Differenz zwischen der Bevölkerung und den Regierungen", glaubt Voigt. Andere in der Regierung gehen aber davon aus, dass Kerry den Erwartungen der Bevölkerung schon durch ein anderes Auftreten und freundlichere Töne gegenüber den Europäern erfüllen könnte, selbst wenn sich inhaltlich wenig ändern würde. In der Regierung zählt dabei nur nüchterner Pragmatismus: "Wir wissen, dass wir mit dem Präsidenten arbeiten müssen, der gewählt wird, und wir wissen, dass wir mit beiden arbeiten können", sagt Voigt.