Wenn Steve Ochoa den republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain dabei beobachtet, wie der um die Stimmen der Lations buhlt, geht ihm der Hut hoch. "Ja, er hat sich für die Reform des Einwanderungsgesetzes stark gemacht", sagt Ochoa, "aber zuerst will er an der Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen. Die aber löst gar nichts. Das einzige, was eine zehn Fuß hohe Mauer fördert, ist der Absatz von elf Fuß hohen Leitern." Der Politikwissenschaftler am William C. Velasquez Institute beschäftigt sich von Berufs wegen mit den Kandidaten. Die gemeinnützige, überparteiliche Organisation in Los Angeles hat zum Ziel, die schnell wachsende Gemeinde der knapp 50 Millionen Latinos in den USA zu erforschen und Wege zu finden, sie an den gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen besser teilhaben zu lassen. Also etwa bei Wahlen wie der im November, bei der die Latinos einer der entscheidenden Faktoren sein werden.
Vor 50 Jahren lebten rund fünf Millionen Latinos in den USA, mehr als 60 Prozent davon aus Mexiko, der Rest mit Wurzeln in der Karibik sowie in Mittel- und Südamerika. Heute sind es 46 Millionen, vielleicht auch schon 50 Millionen. In wenigen Jahren werden sie die größte Bevölkerungsgruppe im größten Bundesstaat der USA, Kalifornien stellen. Zehn Millionen Latinos waren bei den Vorwahlen im Frühjahr wahlberechtigt, bis November werden weitere zwei Millionen stimmberechtigt sein. Traditionell entscheiden sich bei Präsidentenwahlen rund 60 Prozent von ihnen für den Demokraten, 20 Prozent für den Republikaner, 20 Prozent sind Wechselwähler. Doch diese Arithmetik gilt seit ein paar Jahren nicht mehr.
Republikaner haben es im Latino-Lager schwerer
Präsident George W. Bush gelang es bei seiner Wiederwahl 2004, knapp 40 Prozent der Latinos von sich zu überzeugen, ein Garant für seinen Erfolg. McCain kann von solchen Zahlen derzeit nur träumen. Eine aktuelle Umfrage des Gallup-Institutes sieht ihn bei 28 Prozent unter den Latinos, seinen demokratischen Herausforderer Barack Obama bei 62 Prozent. Und das, obwohl Obama bei den Vorwahlen gegen Hillary Clinton unter den Latinos deutlich verloren hatte. Nach Ochoas Erhebungen fällt es diesen Clinton-Anhängern aber offensichtlich leichter, ins Obama-Lager umzuschwenken, als zum Beispiel den weißen Frauen oder den weißen Arbeitern. "Latinas sind sehr demokratisch eingestellt und würden nicht auf die Idee kommen, für einen Republikaner zu stimmen", sagt Ochoa.
McCain setzt dennoch alles daran, sie und ihre Familien zu umwerben. Als einer von wenigen Republikanern hat er überhaupt eine Chance. So kann der Senator aus Arizona, einem Bundesstaat mit hohem Latino-Anteil, für sich verbuchen, gemeinsam mit dem demokratischen Senator Edward Kennedy eine Initiative für eine umfassende Reform des Einwanderungsgesetzes auf den Weg gebracht zu haben. Allerdings scheiterte sie spektakulär am Widerstand der republikanischen Mehrheit im Kongress. An diesen Vorstoß erinnert McCain nun gerne und oft. Zum Beispiel in einem Fünf-Minuten-Film, mit dem er seinen Auftritt beim National Council of La Raza, eine der ältesten und größten Latino-Lobby in den USA, am kommenden Montag in San Diego begleitet. Er werde das Problem der zwölf Millionen Einwanderer ohne Papiere "mit einem Gesetz lösen, das praktisch und fair ist", verspricht McCain darin. Und weiter: "Wir werden die Belange der Einwanderungsfamilien beachten, die die Arbeit tun, die getan werden muss."
Beide Kandidaten machen Versprechen zur Einwanderungspolitik
Das hört sich schön an, ist aber nichtssagend. So löste allein die Frage, ob die Einwanderer ohne Papiere zunächst in ihr Heimatland zurückkehren müssen, ehe sie legal wieder einreisen dürfen, im Kongress beinahe eine Revolte aus. Sie lässt McCain deshalb auch bewusst unbeantwortet. Obama, der bereits am Sonntag in San Diego auftreten wird, wirft seinem Rivalen unterdessen vor, im Vorwahlkampf noch ganz anders geklungen zu haben. Im Februar, als er um die konservative Parteibasis buhlte, sagte McCain in einer TV-Debatte tatsächlich, er würde heute nicht mehr für seinen eigenen Gesetzentwurf stimmen. Bevor das Problem der illegalen Einwanderer angegangen werde, müsse die Grenze gesichert sein.
Obama seinerseits verspricht zwar, die Einwanderungspolitik sei eine seiner Prioritäten, falls er ins Weiße Haus einziehe. Mit Details hält er sich aber zurück. Stattdessen vertraut er darauf, dass die Begeisterung, die er in den Vorwahlen vor allem unter den jungen und gut gebildeten Latinos verbreitete, ihn auch im November trägt. Bei den Vorwahlen in Kalifornien war die Wahlbeteiligung unter dieser Bevölkerungsgruppe um fast 150 Prozent nach oben geschnellt, in Texas um 350 Prozent. Meinungsforscher Jeffrey Jones fasst die Situation in seiner Gallup-Analyse so zusammen: "McCain muss sich einen steilen Berg hinaufkämpfen."