Die rasante Rundreise hinter sich, bejubelt, geliebt und hoffiert, hätte Barack Obama erschöpft und zufrieden in den Sessel sinken sollen. Doch stattdessen machte er sich auf dem Rückflug von London nach Chicago Gedanken darüber, was noch immer schiefgehen kann. "Die Leute zu Hause machen sich Sorgen um die Benzinpreise und ihre Hypotheken und drohende Zwangsversteigerungen - und eine Woche lang sehen sie mich durch die Welt düsen", sinnierte der demokratische Präsidentschaftsanwärter, "es ist einfach, das als vom Volk und seinen alltäglichen Problemem entfernt darzustellen. Doch wir dachten, es war das Risiko wert."
In der Tat hätte Obamas Trip nach Afghanistan, in den Irak, den Mittleren Osten und schließlich nach Berlin, Paris und London kaum besser laufen können. Der irakische Premierminister Nuri al-Maliki machte für den Kandidaten eigenhändig Wahlwerbung, indem er dessen Plan, die kämpfenden US-Truppen bis 2010 abzuziehen anpries. Der jordanische König brach eigens seinen Urlaub ab, um mit Obama zu sprechen. In Berlin kamen 200.000 zu seiner Rede vor der Siegessäule und in Paris bereitete Präsident Nicolas Sarkozy ihm einen "königlichen Empfang" ("Washington Post"). Die TV-Sender und Zeitungen berichteten, als handle es sich um wichtige Staatsbesuche. Selbst konservative Kommentatoren wie William Bennett sagten bei CNN anerkennend: "Das ist wirklich ein teuflisch guter Lauf, den er da hat." Frank Rich, einer der einflussreichsten liberalen Kommentatoren des Landes, erklärte in der "New York Times" sogleich: "Wie Obama zum handelnden Präsidenten wurde."
John McCain, Obamas republikanischer Rivale, zeigte von Tag zu Tag mehr Frust ob des großen Schattens, dem er nicht entkam. Da mochte er mit noch so scharfen Worten zurückschießen. Obama vollführe "eine vorzeitige Siegesrunde", klagte er. Dann wieder, dem Demokraten sei es wichtiger, die Wahl zu gewinnen als den Krieg im Irak. Er warf ihm vor, dass er einen Besuchstermin bei im Irak verwundeten amerikanischen Soldaten in Deutschland gestrichen habe und nannte ihn "arrogant" und "rücksichtslos". Es wirkte ein wenig hilflos, wie MCain in einem deutschen Restaurant in Columbus, Ohio mit Mittelständlern sprach und kurzfristig den Dalai Lama zu sich einlud. Doch trotz allem trifft er womöglich einen Nerv, wenn er in einer Radioansprache sagt: "Ich fühle mich ein bisschen zurückgesetzt von Obama. Und vielleicht geht ihnen das auch so."
Vor allem im konservativen Lager finden sich Stimmen, die sagen, Obama habe sich zu weit vorgewagt. Robert Schlesinger beschreibt das im Magazin "US News & World Report" so: "Die Berlin-Rede könnte als Meilenstein auf Obamas Weg zur Präsidentschaft erinnert werden, oder als der Wendepunkt, an dem sich seine Wahlkampagne zu weit in Richtung Dreistigkeit statt in Richtung Hoffnung bewegt hat." David Brooks, der konservative Kommentator der "New York Times", der bislang meist gute Worte für den Demokraten hatte, ätzte: "Obama hat von einer Woche schöner Bilder profitiert. Aber am Ende ist Optimismus ohne Realitätssinn keine Eloquenz. Das ist nur Disney."
Erst im Laufe der kommenden Woche lässt sich sagen, welche Wirkung Obamas Ausflug auf die Wählerschaft wirklich hatte. Die ersten Umfragen, die den Effekt der einwöchigen globalen Obamania messen, werden in wenigen Tagen veröffentlicht. Diejenigen, die Mitte des Monats erhoben worden waren, zeigen ein Bild, das McCain gefallen muss. Danach holt er in den Swingstates Michigan und Minnesota auf, in Colorado überholte er Obama gar und liegt nun knapp an der Spitze. Landesweit hat Obama weiterhin die Nase mit etwa fünf Prozentpunkten vorne. Aber das besagt wenig, denn im November werden die Wahlmännerstimmen aufgeschlüsselt nach den Bundesstaaten zusammengezählt, die landesweite Stimmenmehrheit ist bedeutungslos. Die Ergebungen bestätigen zudem, dass der junge Senator dringend etwas dagegen unternehmen muss, dass ihn immer noch viele als die deutlich riskantere Wahl ansehen. Selbst nach eineinhalb Jahren Wahlkampf haben sie den Eindruck, ihn nicht so gut zu kennen wie Alt-Senator McCain.
Ob ihm sein Auslandstrip in dieser Frage geholfen hat, sei dahingestellt. Gerade die Wechselwähler legen viel weniger Wert darauf, vom Rest der Welt gemocht zu werden, als etwa die Jungen und jene am linken politischen Spektrum. Ronald Brownstein, Kommentator des "National Journal", Hauspostille aller Kongressabgenordneten, faßt das so zusammen: "Europäische Jubelstürme helfen Obama bei den Starbucks-Leuten, aber es bleibt abzuwarten, ob sie seine Aussichten bei den Dunkin´ Donuts-Kunden ebenfalls versüßen." Auch einige Anhänger von Hillary Clinton, die Obama im demokratischen Vorwahlkampf knapp besiegte, sehen seine Reise ausgesprochen skeptisch. Susie Tompkins Buell, eine von Clintons größten Spendensammlerinnen, sagte der "Los Angeles Times": "Die, die ich kenne, stossen sich an diesen Rock Star-Veranstaltungen. Bei diesen Spektakeln geht es mehr um den Kandidaten als um die Partei und die Themen, die uns am Herzen liegen."
Und natürlich ließen sich die amerikanischen Night Talker die Gelegenheit nicht entgehen, das Ganze auf die Schippe zu nehmen. Jimmy Kimmel, Zyniker vom Dienst bei ABC, lästerte: "Sie lieben Barack Obama wirklich in Deutschland. Er ist da drüben ein Rock Star. Das ist sehr beeindruckend - bis man feststellt, dass sie da drüben auch David Hasselhoff anhimmeln."