Die Extremisten der sunnitischen Bewegung Islamischer Staat haben binnen weniger Tage drei Städte im Nordirak erobert und setzen damit die in der Region regierenden Kurden immer stärker unter Druck. Die Städte Sumar, Sindschar und Wana sowie der Mossul-Staudamm und ein Ölfeld samt Raffinerie seien den Rebellen in die Hände gefallen, berichteten Augenzeugen und Vertreter der kurdischen Verwaltung am Sonntag. Auf ihrer Internetseite erklärte die radikalislamische Organisation Islamischer Staat, sie habe zahlreiche kurdische Kämpfer getötet und neben den Städten auch zwölf Dörfer eingenommen.
Die Eroberung des größten Staudamms des Landes ist von erheblicher strategischer Bedeutung. Sollten die Extremisten die Staumauer sprengen, wäre die nahe gelegene Großstadt Mossul von einer Flutwelle bedroht, die Zehntausende Menschenleben in Gefahr brächte.
In Sumar hissten die Extremisten auf Gebäuden die schwarze Flagge des Islamischen Staates. In anderen von ihnen eroberten Städten folgten auf dieses Ritual Massenhinrichtungen und die Durchsetzung fundamentalistisch-islamischer Vorschriften. Auf ihrer Internetseite berichteten die Islamisten, dass Hunderte kurdische Kämpfer geflohen seien und zahlreiche Fahrzeuge und riesige Mengen an Waffen zurückgelassen hätten.
Westen baut auf Kampfkraft der Kurden
Die früher als Isis bekannte Bewegung Islamischer Staat hatte im Juni den Norden Iraks im Handstreich unter ihre Kontrolle gebracht und dort ein Kalifat ausgerufen. Viele irakische Soldaten desertierten angesichts der Offensive der Extremisten oder liefen zu ihnen über. Die Hoffnungen der Zentralregierung, aber auch der USA und anderer westlicher Staaten ruhte danach auf der Kampfkraft der Kurden. Bei den Gefechten der vergangenen Tage hätten die kurdischen Peschmerga-Milizen den Islamisten aber kaum etwas entgegenzusetzen gehabt, berichteten Augenzeugen. Derzeit steht der Islamische Staat rund 100 Kilometer vor Bagdad und droht, auch die Hauptstadt einzunehmen. Zuvor hatten die Islamisten den Bürgerkrieg in Syrien ausgenutzt, um dort in einigen Gebieten ihre fundamentalistische Herrschaft zu errichten. Im Irak finden sie teilweise bei den Sunniten Unterstützung, die sich von der Mehrheit der Schiiten im Land unterdrückt fühlen. Die Schiiten dominieren die Regierung in Bagdad.
Die autonome Kurdenregion im Norden Iraks hat die USA um Waffen gebeten, um sich gegen die Kämpfer des Islamischen Staats zur Wehr setzen zu können. Ein entsprechendes Ersuchen sei von einer kurdischen Delegation Anfang Juli in Washington vorgetragen worden, hieß es in Kreisen der kurdischen und der US-Führung. Die USA hätten zugesagt zu prüfen, wie die Verteidigungsfähigkeit der Kurden verbessert werden könne.
200.000 Menschen auf der Flucht
Die Kurden erklärten, die US-Militärhilfe sei für einen Erfolg gegen die aus der al-Kaida hervorgegangene Gruppe von entscheidender Bedeutung. Ihre Kämpfer benötigten Panzer, Ausrüstungen für Scharfschützen, gepanzerte Truppentransporter, Artillerie und Munition. Auf der Liste stünden zudem Schutzwesten, Helme sowie Tank- und Sanitätsfahrzeuge. Das werde nicht nur zum Schutz der Kurdengebietes gebraucht, sondern auch zur Verteidigung der irakischen Flüchtlinge, die sich in die Obhut der kurdischen Peschmerga-Miliz begeben hätten.
Nach Angaben der Vereinten Nationen sind im Nordirak rund 200.000 Menschen auf der Flucht. Die meisten von ihnen gehörten der religiösen Minderheit der Jesiden an, teilte die UN-Mission im Irak am Sonntag mit. Im Nordirak entfalte sich eine "humanitäre Tragödie". Die Flüchtlinge bräuchten dringend Nahrung, Wasser und Medikamente. IS-Extremisten hatten am Wochenende im Norden des Iraks große Gebiete eingenommen, die bisher unter Kontrolle von kurdischen Peschmerga-Kämpfern standen.