Am Sonntag wählt die Ukraine einen neuen Präsidenten. Für Amtsinhaber Petro Poroschenko steht alles auf dem Spiel. Und kurz vor der Wahl gibt es plötzlich einen überraschenden Favoriten: den Komiker Wladimir Selenski. Mehrere Umfragen sehen ihn übereinstimmend bei mehr als 25 Prozent. Bei Poroschenko und der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ist die Lage weniger eindeutig: Eine Umfrage sieht beide bei etwa 17 Prozent, in einer anderen liegt Poroschenko deutlich vor der Ex-Regierungschefin.
Selenski spielt in der beliebten Fernsehserie "Diener des Volkes" einen Lehrer, der unverhofft zum Präsidenten wird. Als Komiker macht er sich lustig über Korruption, Vetternwirtschaft und Machenschaften der Elite. Vor allem die jungen Menschen sind von ihm begeistert.
Lwiws Bürgermeister sieht die riesige Zustimmung für den Politneuling als Zeichen des Protests. "Was in Frankreich die "Gelbwesten", sind bei uns die Selenski-Wähler", sagte Andrej Sadowy der Nachrichtenagentur DPA, dessen Name immer wieder für die höchsten Regierungsämter gehandelt wird.
In der Ukraine als Präsidentendarsteller bekannt
Kritiker werfen dem 41-Jährigen aber vor, keine politische Erfahrung zu haben. Der Komiker räumt Defizite durchaus ein. Er habe "keine Erfahrung", sagte Selenski in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Er lerne aber bereits für seine mögliche neue Aufgabe: "Schließlich will ich nicht wie ein Idiot aussehen." Während seine Unterstützer auf frischen Wind an der Staatsspitze hoffen, halten seine Gegner Selenskis politische Ideen für wenig konkret und stören sich an seinen platten und sexistischen Witzen.
Trotz Selenskis Spitzenposition in den Umfragen halten Experten die Wahl noch nicht für entschieden. "Wenn man sich seine Zahlen ansieht, hat man das Gefühl, dass Selenski seinen Spitzenwert bereits erreicht hat", sagt der Politikexperte Mikola Dawidjuk. Außerdem gingen junge Menschen seltener zur Wahl als ältere.
Poroschenko in der Krise
Der 53-jährige Poroschenko regiert die Ukraine seit der Maidan-Revolution im Jahr 2014. Nach dem Sturz seines kremltreuen Vorgängers Viktor Janukowitsch hatte Poroschenko versprochen, die Ukraine stärker am Westen auszurichten, gegen die weit verbreitete Korruption vorzugehen und den bewaffneten Konflikt mit den prorussischen Rebellen im Osten des Landes zu beenden. Dort sind in den vergangenen Jahren rund 13.000 Menschen getötet worden, auch heute noch sterben regelmäßig Menschen bei den Kämpfen.
Im Kampf um seine Wiederwahl versucht Poroschenko, sich als der einzige Kandidat zu präsentieren, der dem mächtigen Nachbarn Russland die Stirn bieten kann: "Mein Verbündeter ist das ukrainische Volk, mein Gegner ist Putin", sagte der Präsident bei einem Fernsehauftritt.
Doch bislang gelang es Poroschenko nicht, den Konflikt in der Ostukraine beizulegen. Auch innenpolitisch steht er massiv unter Druck. Die wirtschaftliche Lage im Land ist desaströs. Nach Erhebungen der Weltbank müssen etwa drei Millionen Ukrainer von weniger als 4,85 Euro am Tag über die Runden kommen. 25 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. 2014 waren es nur 15 Prozent.
Der Schuldenberg wächst. "Ohne die Zahlungen des IWF wäre das Land schon längst pleite", erklärte Marcel Röthig, Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kiew, in einem Gespräch mit der "Wirtschaftswoche". Es existiert so gut wie kein Bereich der ukrainischen Regierungspolitik, der nicht aus dem Ausland bezuschusst wird: Nach Angaben der Bundesregierung zahlte in den vergangenen Jahren der Europäischen Investitionsbank zum Beispiel drei Milliarden Euro, die Europäische Bank für Wiederaufbau 2,7 Milliarden, 879 Millionen Euro kamen aus "bilateralen EU-Hilfen", elf Milliarden Euro vom IWF.