Ischingers Welt "Man muss neidlos sagen: Trump hat seine Ziele verwirklicht"

Wolfgang Ischinger Merz Putin Trump
Wolfgang Ischinger hält eine abgestimmte Ukraine-Strategie zwischen Europa und den USA für unerlässlich
© stern-Montage: Fotos: Imago; Getty Images
Wolfgang Ischinger ist einer der erfahrensten deutschen Diplomaten. Für den stern blickt er hinter die Fassaden: Wie findet Europa im Kreml Gehör – und was macht Trump besser?

Herr Ischinger. Was hat Sie überrascht in dieser Woche?  
Es gab in dieser Woche eine erfreuliche strategische Überraschung, mit der ich nicht gerechnet hätte: Nach allem Hin und Her des US-Präsidenten pro Russland und pro Ukraine in den letzten neun Monaten gibt es jetzt erstmals Sanktionen der USA gegen Russland – das ist ein Novum. Nach den Äußerungen des amerikanischen Präsidenten in den Tagen zuvor, bei denen ich die Sorge hatte, dass er wieder russischen Einflüsterungen zum Opfer gefallen war, hat mich das sehr gefreut. 

Vor vier Wochen postete Trump auf Truth Social, die Ukraine könne das gesamte Territorium zurückerobern, wenn nicht sogar noch mehr, vor wenigen Tagen dann erklärte er Selenskyj hinter verschlossenen Türen, er solle einlenken, sonst werde Russland die Ukraine zerstören. Mal ehrlich: Haben wir es mit einem US-Präsidenten zu tun, der so leicht zu beeinflussen ist wie ein kleines Kind?  
Es steckt mehr dahinter als Naivität. Ein Arbeitsprinzip dieses Präsidenten besteht darin, den Verhandlungsgegner sozusagen auf den Zehenspitzen zu halten, ihm das Gefühl zu geben, dass er nicht weiß, was Trump in den nächsten fünf Minuten tun wird. Ich vermute, dass dieses Prinzip, den Gegner durch ständig wechselnde Positionierungen zu verunsichern, auch in seiner Immobilienkarriere ein Erfolgsrezept gewesen sein könnte. Er versetzt alle in Unsicherheit, auch seine Nato-Verbündeten, ob er nun zufrieden ist mit den getroffenen Entscheidungen über mehr Rüstung, ob er bereit ist, Tomahawks zu liefern, oder vielleicht nicht. Also: Erfolgsprinzip Verunsicherung.  

Wolfgang Ischinger
© Lennart Preiss / DPA

Zur Person

Wolfgang Ischinger war von 2001 bis 2006 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in den USA, von 2006 bis 2008 dann in Großbritannien. Anschließend übernahm er die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz, die er bis heute führt

Obwohl Trump in seiner Immobilienkarriere auch mehrfach vor dem Bankrott stand …  
Das stimmt. Aber wie so oft im Leben zählt das Ergebnis. Und das lautet: Er hat mit seiner Immobilienkarriere überlebt und seinen Nebenberuf als Fernsehstar dazu genutzt, politisch berühmt zu werden – und jetzt haben wir ihn als Präsidenten. Man muss neidlos sagen: Er hat seine Ziele verwirklicht. Wenn auch mit Methoden, die vielleicht nicht alle klassisch ausgebildeten Diplomaten wie ich einfach so herunterschlucken können. 

Ganz im Sinne von Helmut Kohl: Entscheidend ist, was hinten rauskommt ... 
Genau so. 

Passend dazu: Hat Trump mit der Absage seines Gipfeltreffens mit Putin in Budapest die richtige Entscheidung getroffen?  
Im Prinzip ist Reden immer besser als Nichtreden. Aber wenn man von vornherein weiß, dass das nur zu einer Verhärtung führt, weil die andere Seite keine Bereitschaft zum Einlenken zeigt, dann ist die Absage eine kluge Entscheidung. Und als Budapest als Treffpunkt genannt wurde, habe ich wenig Freude verspürt: Ich bin zwar ein großer Freund der Stadt Budapest, aber das Budapester Memorandum erinnert an Zeiten, in denen Russland, die USA und andere der Ukraine 31 Sicherheitsgarantien par excellence gegeben haben – die sich dann 2014 leider als null und nichtig erwiesen. 

Haben Sie denn das Gefühl, dass sich derzeit hinter den Kulissen etwas tut – Geheimtreffen, Auslotung von Kompromisslösungen?  
Auf der russischen Seite sehe ich diese Anzeichen noch nicht. Aber eigentlich sind die einzelnen Elemente einer Waffenstillstands- und Friedenslösung ja auf dem Tisch. Wir haben hier eigentlich einen bilateralen Konflikt, der so schwer gar nicht zu beruhigen wäre. Und ich finde es positiv, dass die europäischen Regierungschefs sich inzwischen den Satz zu eigen machen, dass ein Einfrieren der Kontaktlinie eine Ausgangslage für weitere Verhandlungen wäre. Damit ist die Ausgangslage definiert. Wenn Putin zu erkennen gäbe, dass er tatsächlich einsieht, dass es ohne einen Waffenstillstand nicht geht, könnte das der Anfang eines Prozesses sein.  

Aber machen Sie es sich da nicht zu einfach, wenn Sie von einem bilateralen Konflikt sprechen? Russland geht es ja explizit seit Beginn dieses Krieges auch um größere geostrategische Fragen. 
Ein Waffenstillstand und Vereinbarungen, die notwendig sind, um die Waffenstillstandslinie zu stabilisieren, die vorläufige Kenntnisnahme der Tatsache, dass bestimmte Teile der Ukraine zurzeit von Russland okkupiert sind – das sind Fragen, die vor allem zwischen Russland und der Ukraine zu verhandeln sind. Aber das Ganze wird nur funktionieren, wenn es in eine größere strategische Lösung eingebettet ist. Eine grundlegende Verständigung zwischen Russland und den USA in dieser Sache ist deshalb unverzichtbar. Ein Frieden in der Ukraine ist schwer vorstellbar, wenn die USA diesen nicht mittragen und mitgestalten. Denn aus russischer Sicht sind wir Europäer keine legitimen Verhandlungspartner, sondern nur Vasallen der USA. Russland will deswegen nicht mit uns, sondern lieber direkt mit dem Hegemon sprechen. Ich halte das zwar für eine falsche Analyse der russischen Seite, aber das ist ihre Sichtweise.  

Was halten Sie denn von dem Zwölf-Punkte-Plan zur Ukraine, den die Europäer gerade ausarbeiten? 
Ich bin kein Freund von öffentlich vorgetragenen Lösungen, es sei denn, sie wären das Ergebnis einer von allen relevanten Parteien mitgetragenen Kontaktgruppe. Das sind sie aber nicht. Jetzt haben wir eine Situation, in der Donald Trump noch glaubt, mit persönlicher Gipfeldiplomatie eine Lösung herbeiführen zu können. Diplomatische Klugheit würde aber anraten, so früh wie möglich von dieser Methode zu einer breiter abgestützten Diplomatie zu kommen. Seit über drei Jahren haben wir ja dieses sogenannte Ramstein-Format, also einen Abstimmungsprozess bei der militärischen Unterstützung. Ich frage mich, warum man diese sehr erfolgreiche Abstimmungsrunde nicht übertragen kann auf die Frage, wer welche Rolle übernimmt in welchem Zeitrahmen und mit wem bei der Stabilisierung einer möglichen Waffenstillstands- und Friedenslösung.  

Und warum gibt es das nicht?  
Weil die USA unter diesem Präsidenten bislang ihr Glück alleine versuchen.   

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Wäre denn mehr Geheimdiplomatie, mehr "hinter den Kulissen" sinnvoller als die ständigen öffentlichen Verlautbarungen? 
Ich hielte es für wünschenswert, wenn die Europäer sich bestimmte Pläne ausdenken, diese mit der amerikanischen Seite durchdiskutieren und dann möglichst sowohl der Ukraine wie der russischen Seite als westlichen Vorschlag präsentieren würden. Ein rein europäischer Vorschlag wird die russische Seite dazu reizen, das abzutun und einen transatlantischen Graben zu schaffen.  

Aber ist denn eine solche "Einheit des Westens" denkbar? 
Es geht nicht ohne sie. Für die kommenden Wochen und Monate wird der entscheidende Punkt das westliche Signaling gegenüber Moskau sein. Wir reden hier Tag und Nacht über die russische hybride Kriegsführung. Aber wir müssen auch umgekehrt denken: Was in Moskau ankommt, muss so stark sein, dass es Putin den Mut nimmt, an seinen Kriegszielen festzuhalten. Wir müssen Putin den Schneid abkaufen. Bei ihm muss die Botschaft ankommen: Wir lassen nicht locker. Wir werden jetzt diese 140 Milliarden Euro russischer Gelder der Ukraine zukommen lassen. Aber auch hier halte ich es für wünschenswert, dass das Ergebnis einer solchen europäischen Beratschlagung zunächst mit Washington beraten und dann als gemeinsame Linie Russland auf den Tisch geknallt wird.  

Klingt alles recht hoffnungsvoll. Herr Ischinger, gab es sonst noch Positives in dieser Woche?  
Ich kann nur wiederholen: Zum ersten Mal seit neuneinhalb Monaten sehen wir eine Bereitschaft der Amerikaner, tatsächlich materiellen Druck auf Moskau auszuüben. Mit ihren Zöllen haben die Amerikaner Druck auf die ganze Welt ausgeübt, auch auf die Europäer, bloß auf Moskau nicht. Und das ändert sich jetzt. 

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