"Afghanistan gehört uns" Karsais riskantes Spiel

Hamid Karsai hat mit seiner Drohung, sich den Taliban anzuschließen, die USA und die übrigen Nato-Staaten irritiert. In erster Linie wollte der afghanische Präsident damit Stärke nach Innen demonstrieren. Auch wenn er nun zurückruderte, Karsai spielt ein riskantes Spiel.

Auf den ersten Blick könnte man den zornigen Ausbruch des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai vom Wochenende als Ausrutscher abtun. Doch Karsai hat beim Besuch von US-Präsident Barack Obama sein Gesicht verloren und muss den Afghanen jetzt zeigen, dass er keine Marionette Washingtons ist. Vor diesem Hintergrund ist wohl seine Drohung zu sehen, sich den Taliban anzuschließen, wenn die Ausländer sich weiter einmischten.

In den USA und den übrigen Nato-Staaten, deren Soldaten in Afghanistan ihr Leben aufs Spiel setzen, sorgt diese Äußerung für Irritationen. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem die US-Streitkräfte mit Blick auf eine im Sommer geplante Nato-Offensive gegen die Taliban in Kandahar eine engere Zusammenarbeit anstreben.

Schon seit Monaten schäumt Karsai über die - wie er es sieht - Bevormundung aus Washington. Er setzt darauf, dass es seinem Ansehen daheim nutzt, wenn er den Fremden die Schuld an Problemen gibt. Das Risiko scheint gering, da es zu ihm keine Alternative gibt. Doch die offenen Differenzen könnten sich zu einem ernsten Problem für beide Seiten auswachsen.

Drohung mit den Taliban

Karsais Stern im Westen sinkt schon seit längerem. Bei seinem Kurzbesuch in Kabul nahm Obama ihn sich erneut vor und drang auf Fortschritte bei der Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft. Karsai brütete drei Tage lang über den Vorwürfen, dann keilte er zurück: Die Uno und die internationale Gemeinschaft hätten hinter dem Wahlbetrug voriges Jahr gesteckt und wollten seine Autorität untergraben.

Weitere zwei Tage später sagte er nach Angaben mehrerer Teilnehmer vor Parlamentariern, wenn die ausländische Einmischung nicht aufhöre, würde aus dem Aufstand der Taliban ein rechtmäßiger Widerstand werden, dem er selbst sich möglicherweise anschließen würde. "Wenn ich vom Ausland unter Druck gesetzt werde, könnte ich mich den Taliban anschließen", gab der Abgeordnete Faruk Marenai am Sonntag die Worte des Präsidenten wieder. Aus einer Rebellion gegen die rechtmäßige Regierung in Kabul würde dann Widerstand gegen eine ausländische Besatzung werden.

"Souveränität demonstrieren"

Gemeinsam mit hohen Nato-Offizieren besuchte Karsai am Sonntag Kandahar und versicherte bei einer Versammlung von rund 2000 Stammesführern, die im Sommer erwartete Offensive gegen die Taliban werde nur mit Unterstützung der Menschen dort stattfinden.

"Afghanistan wird in Ordnung kommen, wenn die Menschen darauf vertrauen, dass ihr Präsident unabhängig ist und keine Marionette", sagte er vor Stammesführern. "Wie müssen unsere Souveränität demonstrieren. Wie müssen zeigen, dass wir für unsere Werte einstehen."

Karsai will mit Washington nicht brechen

Am Montag versicherte Karsai dann, er habe nicht die Absicht, mit Washington zu brechen. "Es soll nur klar sein, dass wir alle wissen, wo jeder von uns steht", sagte er CNN. "Afghanistan ist die Heimat der Afghanen, es gehört uns. Und unsere Partner sind hier, um in einer Sache zu helfen, die ganz die unsere ist. Wir führen dieses Land, die Afghanen."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Die Taliban-Drohung war den Abgeordneten zufolge offensichtlich nicht ernst gemeint, sondern eher Ausdruck von Karsais Zorn über den internationalen Druck, sich endlich solcher Themen wie Korruptionsbekämpfung und Wahlrechtsreform anzunehmen. Aus seiner Umgebung heißt es, der Präsident halte die Korruptionsvorwürfe für einen Vorwand, seine Regierung zu diskreditieren und davon abzulenken, dass die meisten der Milliarden an internationalen Hilfsgeldern von den Gebern selbst verschwendet worden seien.

Differenzen über Verhandlungen mit Taliban

Frustriert ist Karsai außerdem darüber, dass die USA Verhandlungen mit Taliban-Führern nicht billigen wollen. Die US-Regierung ist gern bereit, einfache Taliban-Kämpfer mit Belohnungen zum Seitenwechsel zu bewegen, hält Verhandlungen mit deren Anführern aber für zwecklos, solange die Aufständischen zu siegen glaubten.

Der afghanische Präsident argwöhnt, dass die Amerikaner oder die Pakistaner die Verhaftung des zweitwichtigsten Taliban-Kommandeurs inszenierten, mit dem er verhandelt hatte, um die Gespräche zu sabotieren.

Einige afghanische Politiker allerdings fürchten, dass Karsai mit seinem Ausbruch sein Blatt überreizt haben könnte. "Das war eine unverantwortliche Rede von Präsident Karsai", kritisierte der Abgeordnete Sardar Mohammed Rahman Ogholi. "Karsai fühlt sich isoliert und ohne politische Verbündete ... Der Kampf gegen Terrorismus, Korruption und Drogen erfordert eine starke Regierung. Unglücklicherweise ist die Regierung Karsai zu schwach, um all diese Elemente zu bekämpfen."

AP
Robert Reid und Steven Hurst, AP