Konrad Porzner wirkte für seine Verhältnisse einige Momente fast kämpferisch. 'Absurd', 'ungeheuerlich' und 'ohne Grundlage' seien die Vorwürfe und Unterstellungen, die gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) geäußert würden.
Doch bei der Marathon-Vernehmung des BND-Präsidenten vor dem Bonner Plutonium-Ausschuß am Donnerstag vergangener Woche blieb in wichtigen Punkten ein offensichtlicher Widerspruch zwischen seiner Darstellung und dem, was Akten und Aussagen anderer Beteiligter über den spektakulären Münchener Plutonium-Schmuggel vom Sommer 1994 vermuten lassen: daß der Deal vom BND und seinem dubiosen Spitzel 'Rafa' in Madrid eingefädelt wurde unter Mithilfe von dessen Kumpan 'Roberto', der sowohl für den BND als auch für das Bundeskriminalamt (BKA) als V-Mann arbeitete.
Auch über die BND-Verbindungen zum Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) blieb Porzner Auskunft schuldig Stoff für Nachfragen, die ihm und auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein noch Ungemach bereiten könnten.
Nach Recherchen des stern arbeiteten BND und LKA nicht nur bei der 'Operation Hades' eng zusammen, die am 10. August 1994 mit der Sicherstellung von 363 Gramm Plutonium auf dem Münchener Flughafen endete. Parallel dazu lief unter dem Decknamen 'Operation Remolacha' (Rübe) die geheime Vorbereitung eines gigantischen Rauschgift-Deals, der zum Aufgriff von mehreren hundert Kilogramm Kokain aus Kolumbien in Bayern führen sollte. Auch dabei wollte der BND das LKA ins Geschäft bringen.
Den Anstoß dazu hatte V-Mann Roberto am 5. August 1993 bei einem Abendessen in Madrid mit seiner BND-Verbindungsführerin 'Sibylla Janko' und deren Chef, dem spanischen BND-Residenten Peter Fischer-Hollweg, gegeben. 300 Kilo Kokain aus Kolumbien könne er von Spanien nach Deutschland schaffen, so Roberto. Vier Tage später informierte der Leiter des BND-Referats 11A ('Aufklärung und Lage Rauschgift'), Jürgen Merker, das Landeskriminalamt von Robertos Angebot. Das zeigte, wie es in einem BND-Vermerk heißt, 'sofort Interesse'.
Bei einem Treffen mit Roberto in München am 14. September 1993 gewannen zwei LKA-Beamte von dem BND-Spitzel einen 'glaubhaften und korrekten Eindruck', wie einer von ihnen später notierte. Als Kontaktmann nannte Roberto den Ermittlern seinen Kumpel Rafa, der einst bei einer Rauschgifteinheit der spanischen Polizei gedient hatte.
Zunächst dümpelte die streng geheime 'Operation Remolacha' einige Monate vor sich hin bis sich Ende Juni 1994 Rafa persönlich einschaltete. Den hatte der BND erst wenige Wochen zuvor als 'Nachrichtendienstliche Verbindung' angeworben. Am 3. Juli 1994 flog Rafa von Madrid nach München, um tags darauf im 'Concordia'-Biergarten an der Landshuter Allee mit je zwei Beamten von LKA und BND die Einzelheiten des Geschäfts zu klären.
Rafas Hinweis, er könne möglicherweise auch Plutonium besorgen, stieß bei den bayerischen Polizisten zunächst auf offenbar wenig Interesse. Knapp drei Wochen später landete er dennoch erneut in München, um nun gemeinsam mit seinem 'Betreuer', dem BND-Dolmetscher 'Adrian', die Verhandlungen mit den Plutonium-Verkäufern zu führen.

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Doch gleichzeitig arbeiteten Adrian und Rafa streng vertraulich an der 'Operation Remolacha' für Becksteins LKA. So besprachen sie am 1. August einerseits mit den Plutonium-Schmugglern die Modalitäten der Lieferung. Andererseits saßen sie später mit zwei LKA-Beamten im 'Taxisgarten' zusammen und vereinbarten, das Kokain-Geschäft Anfang Oktober abzuwickeln. Das LKA wollte dem V-Mann Rafa für seine RauschgiftBeschaffungsaktion eine Riesenbelohnung zahlen. 'Circa 500000 Mark' sollte der Spanier lautAktenvermerk im Erfolgsfall erhalten.
Der geplante Rauschgift-Deal war so delikat, daß er sowohl in Pullach als auch in München zur Chefsache wurde. LKA-Präsident Hermann Ziegenaus stimmte am 4. August dem Plan zu, für die Abwicklung des Kokain-Deals ein Haus im Allgäu anzumieten, das den Schmugglern gegenüber als Rafas 'Feriensitz' ausgegeben werden sollte. Kosten: 7000 Mark. BND-Chef Porzner, der nach eigenem Bekunden nur in Fällen von 'außergewöhnlicher Bedeutung' und 'politischer Brisanz' über Operationen seines Dienstes Kenntnis erhält, war bereits vier Wochen zuvor über die beabsichtigte 'operative Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt Bayern' informiert worden.
Auch bei der Staatsanwaltschaft Landshut, die zuständig war, weil das Rauschgift in ihrem Einzugsbereich, dem Airport München-Erding, per Luftfracht ankommen sollte, wurde die 'Operation Remolacha' als geheime Kommandosache gehandelt. Oberstaatsanwalt Robert Mader bat das LKA, 'in dieser Sache ausschließlich Kontakt' mit ihm zu halten.
Einen Tag, nachdem Rafa und Adrian für die Festnahme der Münchener Plutoniumschmuggler gesorgt hatten, besprach man im LKA das weitere Vorgehen in puncto 'Remolacha'. Dem Leiter des Rauschgiftdezernats, Ferdinand Schmid, wurde 'die Operation aus erster Hand vorgetragen', von Adrian und Rafa. Am 4. Oktober, so wurde vereinbart, solle sie über die Bühne gehen.
Beim BND gab es jedoch wegen 'Remolacha' intern heftige Turbulenzen. So hatte der Abteilungsleiter 'Verwaltung und Zentrale Dienste', Rainer Keßelring, oberster Jurist in Pullach, 'erhebliche Bedenken'. Auf einem an Porzner gerichteten geheimen Vermerk vom 7. Juli 1994 notierte Keßelring, durch die geplante 'gemeinsame Operation von BND und LKA Bayern' könne 'das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei verletzt' werden.
Offiziell mußte das BND-Engagement bei der Rauschgift-Operation genauso wie im Plutonium-Fall daher als 'Amtshilfe' für das LKA laufen. In der Vorlage des Referats 11A für Porzner heißt es aber klar, 'zum Gelingen des Vorhabens' sei es 'notwendig', daß Rafa 'vor Ort an Einzelaktionen als Vermittler beteiligt bleibt'. Auf Bitten des LKA müsse der BND 'begleitende operative Unterstützung' leisten.
Am 5. September 1994 teilte der Madrider BND-Resident Fischer-Hollweg seiner Zentrale mit, Rafa sei 'bereit, die kontrollierte Übergabe' des Kokains 'zu initiieren' allerdings nur, wenn er seinen Agentenlohn für das Plutonium-Geschäft erhalten habe und ihm 'ein Mindesthonorar vorher zugesagt wird'.
Ganz bewußt ließ der BND bei 'Remolacha' das Bundeskriminalamt, mit dem er zur Zusammenarbeit verpflichtet ist, außen vor. Bereits zu Beginn des geplanten Rauschgift-Deals, am 10. August 1993, hielt das BND-Referat 11A in einem Vermerk fest, die Operation werde mit dem LKA Bayern durchgeführt. 'Das BKA wird nicht unterrichtet.' Und Fischer-Hollweg notierte: 'Übergabe (Kokain) im bayerischen Raum'.
Weil sich Rafa jedoch wegen seiner Belohnung im Plutonium-Fall vom BND getäuscht fühlte und deswegen mit Pullach über Kreuz geriet, kam das Rauschgift-Geschäft nicht zustande. Ein zweiter Versuch des BND, die Operation ab November 1994 wieder über Roberto abzuwikkeln, schlug ebenfalls fehl. Erst jetzt entschied BNDReferatsleiter Merker, 'sofort das BKA einzuschalten'.
Das war am 9. November 1994. In Wiesbaden ist der Hinweis bis heute nicht angekommen.
BND-Vermerk zum Kokain-Deal: Das Landes-kriminalamt zeigte 'sofort Interesse'
LKA-Vermerk zum Kokain-Deal: 'Circa 500000 Mark' für V-Mann Rafa