Für den heute bankrotten Finanzdienstleister Wirecard hat jahrelang auch die umstrittene PR- und Lobbyagentur WMP Eurocom gearbeitet. Laut interner Mails, die dem stern vorliegen, beobachtete die Firma bis zumindest Ende 2019 für Wirecard unter anderem die Berichterstattung in der Presse. Unter ihrem damaligen Vorstandschef Michael Inacker bot die Berliner Agentur bereits im Dezember 2016 dem Konzern in Aschheim bei München daneben weitreichende PR-Aktivitäten an, für ein Basishonorar von 35.000 Euro pro Monat oder 420.000 Euro pro Jahr.
Zu diesen Angeboten zählte für Wirecard eine schwarze Liste offenbar unliebsamer Journalisten zu erstellen - sowie eine korrespondierende weiße. "WMP identifiziert in Absprache mit Wirecard die relevanten Medienvertreter ('black list'/ 'white list')" und unterstütze "bei Hintergrundgesprächen und Interviews", hieß es in dem Konzept.
Die Arbeit von WMP für den Konzern endete offenbar im Januar 2020; der Vertrag lief im April 2020 aus. Im Frühjahr dieses Jahres begann Wirecard dann statt mit WMP mit der PR-Agentur Edelman zusammenzuarbeiten, die sich auch der Dienste des früheren "Bild"-Chefredakteurs Kai Diekmann bediente. Ein früherer "Bild"-Chef ist auch bei WMP an Bord, der dortige langjährige Aufsichtsratschef Hans-Hermann Tiedje, der heute auch wieder im Vorstand von WMP sitzt. "Kommunikation ist die Conditio aller Schlachten", läßt er sich auf der Webseite von WMP zitieren.
Wirecard war bekannt für ein aggressives Vorgehen gegen kritische Journalisten
Bereits seit längerem ist bekannt, dass Wirecard insbesondere gegen einen Rechercheur der "Financial Times", Dan McCrum, sehr aggressiv vorging und ihm – zu Unrecht - sogar strafbares Verhalten vorwarf. Ein ehemaliger libyscher Geheimdienstmann soll ihn sogar für Wirecard versucht haben zu überwachen. Der Konzern hatte das aber bestritten.
Laut der internen Unterlagen, die der stern jetzt auswerten konnte, war WMP auch eingebunden, nachdem McCrum Ende Januar und Anfang Februar 2019 erstmals über einen brisanten Prüfbericht von Mai 2018 über mögliche Betrügereien in der Asien-Zentrale von Wirecard in Singapur berichtet hatte. Am Wirecard-Sitz in Aschheim tat man den Zeitungsartikel seinerzeit zunächst als "völlig substanzlos" ab, obwohl es die zitierten Prüfberichte wirklich gab.
Offenbar hatte man bei Wirecard zumindest zeitweise überlegt, die Papiere als Fälschungen zu bezeichnen, schreckte dann aber vor dieser Lüge offenbar zurück: "Mir ist noch aufgefallen, dass wir die 'vorgelegten' Dokumente nicht ausreichend als 'gefälscht' tituliert haben", schrieb eine Verantwortliche der Wirecard-Kommunikationsabteilung damals ihren Vorstandsmitgliedern Markus Braun und Jan Marsalek. Sie reagierte damit auf die Mail einer WMP-Mitarbeiterin, die an einer Erklärung für die Presse gearbeitet hatte.
Der externen PR-Mitarbeiterin waren prompt Widersprüche in den Wirecard-Dementis zu der "FT"-Story aus Singapur aufgefallen. So sollte auf die "irreführende" Berichterstattung geantwortet werden, dass eine "interne Untersuchung" zu Nachweisen geführt habe, "dass die Vorwürfe unbegründet waren". Dennoch, so der Text der damals geplanten Erklärung, habe man eine Prüfung durch eine Anwaltskanzlei veranlasst.
Das kam der WMP-Frau spanisch vor. Wenn man behaupte, dass die Prüfung in Singapur "kurz vor dem Abschluss" stehe, könnte das "Erstaunen hervorrufen", schrieb sie: "Denn erstens: Warum braucht eine renommierte Anwaltskanzlei mehr als ein halbes Jahr, um nicht berechtigte Vorwürfe festzustellen? Zweitens könnten manche den FT Bericht als nicht widerlegt ansehen, so lange das endgültige Ergebnis nicht vorliegt."
WMP beobachtete Veröffentlichungen eines deutschen Bloggers
WMP verfolgte für Wirecard auch die Berichterstattung deutscher Kritiker des Konzerns. Über den Finanzjournalisten Heinz-Roger Dohms behauptete ein Mann der PR-Agentur im April 2017, Dohms habe im Manager-Magazin "erneut eine sehr spekulative und durch keine Belege untermauerte Geschichte veröffentlicht". Vier Monate später meldete WMP an Wirecard, Dohms habe einen Blog namens finanz-szene.de gestartet: "Wir werden natürlich ein Auge drauf haben, was er dort berichtet", versicherte der WMP-Mitarbeiter. Heute gilt Dohms als einer der Journalisten, die zu Recht sehr früh und hellsichtig Zweifel an der Selbstdarstellung von Wirecard formulierten.
Unter dem Titel "'Drachenblut' für Wirecard" hatte WMP Ende 2016 für einen Zeitraum von einem Jahr sehr viel weitgehendere Leistungen angeboten. Bebildert mit einem leicht bekleideten Siegfried, der den Drachen ersticht, versprach das Konzept eine "dreisträngige Kommunikationsstrategie, um Wirecards Reputation zu stärken und das Unternehmen unverwundbar zu machen".

Bereits damals war der Konzern wegen teils undurchsichtiger Geschäftszahlen immer wieder im Fokus von Journalisten und Investoren. WMP wollte dem begegnen und gemeinsam mit Wirecard "eine konsistente Corporate Story" entwickeln und "diese bei den relevanten Medien an den Finanzplätzen in Deutschland und Großbritannien" platzieren. Gemeinsam mit einer Münchner Anwaltskanzlei sollten überdies juristische Schritte gegen vermeintliche oder echte Wirecard-Gegner umgesetzt und medial verkauft werden: "WMP entwickelt eine wirksame Storyline für die Medien und verhindert, dass die Gegenseite die Deutungshoheit über den Vorgang gewinnt", hieß es in dem neunseitigen Papier. WMP stelle dafür eigene "Netzwerke, Plattformen und Medienkontakte zur Verfügung".
Teil dieses Konzepts war auch die mögliche schwarze Liste offenbar kritischer Journalisten. Was sollte für den Umgang mit Journalisten auf der "Black List" folgen? Inacker verwies auf Anfrage des stern an WMP. Er sei "nicht mehr befugt, sich zu geschäftlichen Vorgängen im Zusammenhang mit der WMP Eurocom AG zu äußern", erklärte sein Anwalt. Die Agentur ließ die Frage unbeantwortet.
"35.000 Euro pro Monat sind anständig kalkuliert"
In einer Mail an den damaligen Konzernchef Braun und die Chefjuristin des Hauses befürwortete eine Wirecard-Kommunikationsverantwortliche das Konzept und "diesen integrierten Ansatz". Aus ihrer Sicht waren die 35.000 Euro pro Monat "wirklich anständig kalkuliert". Auch die Chefjuristin war angetan. "Klingt doch gut", schrieb sie: "Wenn ich auch keine Fachfrau bin, finde ich den Vorschlag sehr attraktiv." Ob und wenn ja, in welchem Umfang das Konzept umgesetzt wurde, ist unklar.
Dafür bekam der heutige flüchtige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek am 1. Oktober 2018 von dem damaligen WMP-Chef Inacker eine Einladung zu einer Gesprächsrunde zum Thema China in den exklusiven China Club in Berlin. Inacker hatte gleich zwei Top-Diplomaten als Redner für den Mittagstermin gewonnen, den Österreicher und ehemaligen EU-Botschafter in China, Hans Dietmar Schweisgut, und Michael Clauss, der heute der deutsche Ständige Vertreter bei der EU in Brüssel ist und bis August 2018 als deutscher Botschafter in der China amtierte.
Das Gespräch sollte am 8. November 2018 stattfinden. Wenige Tage zuvor hatte der stern enthüllt, dass WMP trotz der Tötung des Journalisten Jamal Kashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul weiter PR-Arbeit für die Saudis in Deutschland machte. Angeblich unabhängig davon hatte WMP auch den ehemaligen deutschen Botschafter in Saudi-Arabien angeheuert. Offenbar nahm Clauss den Termin trotzdem wahr. Eine konkrete Frage dazu ließ das Auswärtige Amt unbeantwortet, war aber offenbar auch in die Organisation der Runde nicht eingebunden. Ex-Konzernchef Braun ist heute in Haft, weist aber alle Vorwürfe zurück.