Markus Söder gehört nicht zu den Menschen, die einen ihn anfliegenden Gedanken - oder was immer er dafür halten mag - wenigstens ein paar Sekunden lang sacken lassen und erst danach entscheiden, ob er etwas taugt. Der bayerische Finanzminister, der so gerne Ministerpräsident wäre, verfährt eher nach dem alten Spediteurs-Motto: Was rein kommt, muss raus. Und zwar pronto. „#ParisAttacks ändert alles. Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen“, twitterte der CSU-Mann am Tag nach den Anschlägen. Das war ein echter Söder.
Allerdings auf der für ihn üblichen Skala von populistisch bis perfide ziemlich nahe beim zweiten Ende. Andererseits muss man festhalten: Ausnahmsweise hat Ideenfix Söder sogar Recht. Paris ändert in der Tat alles - nur ganz und gar nicht so, wie er sich das vorgestellt haben mag.
Die "Ich habe alles im Griff"-Schau
Und damit sind wir auch schon beim politischen Gegenmodell des gemeinen Söders angelangt: bei Angela Merkel. Die Kanzlerin behält Gedanken im Zweifel zwecks Durchdringung so lange bei sich, dass man den Eindruck gewinnen könnte, sie versuche Probleme einfach wegzudenken. Merkels Mitteilsamkeit hält sich in Grenzen, die noch enger sind als das Vorstellungsvermögen vieler ihrer Widersacher. Journalisten sind eher lästig, Interviews schätzt sie nicht besonders und Fernsehauftritte meidet sie. Hat sie normalerweise längst nicht mehr nötig.
Was allerdings auch den Umkehrschluss zulässt: Wenn die Kanzlerin sich doch mal in eine Sendung bequemt und sich gleich selbst als Gast anbietet, sogar sehr kurzfristig wie am frühen Freitagabend voriger Woche dem ZDF in „wasnun“, dann hat sie es wirklich nötig. Bitter nötig sogar. Merkels demonstrative „Ich habe alles im Griff“-Schau war für alle Kenner der Beweis, dass das genaue Gegenteil der Fall ist, dass der Kanzlerin alles zu entgleiten drohte. Die Flüchtlingspolitik, der Rückhalt in ihrer Partei, die Unterstützung wichtiger Minister. Kurz: ihre Autorität.
Dann kam Paris. Und Söder. Das änderte alles. Seither hat Angela Merkel fast alles richtig gemacht. Dazu gehörte nicht viel. Sie musste ja kaum etwas ändern, zumindest beim Thema Flüchtlinge nicht; da gibt es wenig zu kritteln an ihrer Haltung (wenn man nicht Innen- oder Finanzminister oder ein anderer Partei- oder Schwesterparteifreund Merkels ist). Und Krise kann die Physikerin aus dem Pfarrershaus mittlerweile. Sie reagiert besonnen und trifft den Ton. Kann man ja nicht von jedem behaupten. Außerdem: Krise schweißt zusammen, zumindest in Regierungen. Da weiß jeder: Eine angeschlagene Chefin ist eine Katastrophe für das Land.
CDU-Spitze wieder hinter Merkel
Den Rest besorgte der twitternde bayerische Finanzminister. Wer bis dahin noch nicht wieder demonstrativ hinter der Kanzlerin stand, den trieb Söder in Position. Den allerletzten mit der mittels Interview nachgereichten Forderung, Merkel solle jetzt endlich einräumen, dass „die zeitlich unbefristete Öffnung der Grenzen ein Fehler war“. Danach hatte sie die gesamte CDU-Spitze wieder hinter sich, die ihr ein paar Tage zuvor die Gefolgschaft verweigert und sich hinter den unbotmäßigen Innenminister de Maizière gestellt hatte. Nun reden sie wie mit einer Zunge. Selbst CSU-Chef Seehofer blieb nichts anderes übrig, als seinen Söder zu rüffeln (was er freilich immer wieder mal gerne macht, um den Rivalen auf Distanz zu halten; man sollte das also nicht überbewerten).
Die Kanzlerin sollte sich aber keine allzu großen Illusionen machen, was Dauer und Nachhaltigkeit des neuen Parteifriedens angeht. Die Erfahrung lehrt, dass sich mit äußeren Krisen auch der innere Zusammenhalt schnell wieder verflüchtig. Vorerst aber steht Merkel gestärkt da. Sie sollte einen Strauß Blumen ins Büro des bayerischen Finanzministers schicken. Ein paar hübsche Disteln würden´s aber auch tun. Mit einem kleinen Schleifchen drum herum: Meinem nützlichen Idioten.