Arbeitsmarktreform Keine Änderung der Änderungen

Nach den Korrekturen an den Hartz-IV-Gesetzen lehnt Rot-Grün weitere Zugeständisse ab. Viele Hartz-Gegner sind damit nicht zufrieden: Schon werden weitere Forderungen laut.

SPD und Grüne sowie Wirtschaftsminister Wolfgang Clement stellten am Donnerstag klar, dass über den jetzt vorgezogenen Auszahlungstermin für das Arbeitslosengeld II und den erhöhten Kinderfreibetrag hinaus keine weitere Änderungen vorgesehen seien. Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände begrüßten die Regelungen. Die Initiatoren der "Montagsdemonstrationen" kündigten hingegen weitere Aktionen gegen die Reform an. Die Wirtschaft warnte vor neuen Nachbesserungen und vor "populistischer Stimmungsmache".

Kosten der Änderungen: 1,87 Milliarden Euro

Die Bundesregierung und die Spitzen der rot-grünen Koalition hatten sich nach massiven Protesten am Mittwochabend auf Korrekturen verständigt. Die Spitzenrunde bei Kanzler Gerhard Schröder (SPD) einigte sich darauf, das neue Arbeitslosengeld II für Langzeitarbeitslose bei Bedürftigkeit nun doch komplett Anfang Januar auszuzahlen. Für die öffentliche Hand bedeutet dies Mehrbelastungen von 1,87 Milliarden Euro. Der Wirtschaftsminister rechnet mit einem zusätzlichen Betrag von 800 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt durch die Änderung der Auszahlungsregelung.

Die dadurch entstehenden Mehrkosten werden vom gesamten Haushalt aufgebracht. Der Etat für 2005, den das Kabinett im Juni beschlossen hatte, werde aber auf jeden Fall verfassungsgemäß sein. Danach darf die Neuverschuldung nicht höher sein als die Investitionen.

Neu festgelegt wurde auch, dass die Freibeträge für Kinder bei der Anrechnung des Vermögens Langzeitarbeitsloser einheitlich 4100 Euro betragen. Dieses "Schonvermögen" sollte ursprünglich nur für Kinder ab dem 15. Lebensjahr gelten, für jüngere waren 750 Euro geplant.

Union kündigt Unterstützung an

Die Union will beide Hartz-IV-Änderungen grundsätzlich mittragen. Dies bezieht sich auch auf den von CDU/CSU dominierten Bundesrat, der nun doch den Nachbesserungen zustimmen muss. CSU-Chef Edmund Stoiber nannte die Korrekturen richtig und notwendig. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Volker Kauder erklärte: "Wir sagen im Grundsatz ja. Wir müssen uns aber ganz genau anschauen, wie die entsprechenden Gesetzesänderungen aussehen."

Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) hält weitere Änderungen für notwendig. Die FDP begrüßte die Nachbesserung. Generalsekretärin Cornelia Pieper forderte aber weiter einen Reformstart erst 2006. FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt blieb bei seiner Forderung nach einer Verschiebung der Hartz-IV-Reform, damit sie vernünftig umgesetzt werden könne. "Handwerkliche Fehler lassen sich nicht durch kleine Reparaturen beheben", meinte er.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Rot-Grün wollte die Änderungen zunächst nur in Verordnungen und nicht in Gesetzentwürfen festschreiben. "Wir wollen auf der sicheren Seite sein", begründete Clement die Kehrtwende. SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering sagte, "es wird jetzt auch sehr darauf ankommen, dass CDU/CSU sich nicht in die Büsche schlagen, sondern mitmachen". Wie Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt geht Müntefering von einer Mehrheit im Bundestag aus.

Auszahlungstermin war besonders umstritten

Der Auszahlungstermin und das Kindervermögen waren besonders umstritten. Clement wollte die erste Rate erst Anfang Februar zahlen, weil Empfänger der Arbeitslosenhilfe Ende Dezember die letzte Zahlung erhalten. Kritiker sahen darin eine Zahlungslücke. Die Empfänger von Sozialhilfe bekommen ihr Geld zum Monatsbeginn. Beide Leistungen werden 2005 zum Arbeitslosengeld II (ALG II) zusammengelegt.

Clement hofft nun auf wachsende Zustimmung

Nun sollen Bezieher von Arbeitslosenhilfe, die über kein ausreichendes Partnereinkommen verfügen und so als bedürftig gelten, ebenfalls schon Anfang Januar die soziale Grundsicherung erhalten. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kritisierte diese Vorgehen und sprach von Etikettenschwindel. Clement zeigte sich bereit, bei Zuverdienstmöglichkeiten für Bezieher von ALG II nochmals mit der Opposition zu reden. Mögliche Änderungen würden nach einem Jahr geprüft. Er äußerte die Hoffnung, dass durch die Korrekturen die Zustimmung in der Bevölkerung für die Reform wächst. Besondere Härten würden ausgeschlossen.

DGB-Chef Michael Sommer begrüßte das Einlenken. Er wolle aber auch bei der Zumutbarkeitsregelung auf gesetzliche Korrekturen dringen, sollten die jetzigen Nachbesserungen eine Novelle des Hartz-IV- Gesetzes erfordern. Der Leipziger Pfarrer und Mitorganisator der Montagsdemonstrationen, Christian Führer, sprach von einem positiven Signal. Der Sozialverband VdK kündigte an, die Proteste einzustellen. Die PDS nannte die Korrekturen "Kosmetik einer falschen Reform".

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, zeigte sich skeptisch, ob den Hartz-Gegnern die Änderungen ausreichen: "Ich bezweifele, dass diese Korrekturen die Montagsdemonstrationen beenden werden, sie werden die Protestierer eher ermuntern." Die Organisatoren der "Montagsdemonstrationen" in Sachsen-Anhalt und Sachsen kündigten an, die Proteste fortsetzen zu wollen. Auch in Nordrhein- Westfalen sind zahlreiche Demonstrationen geplant.

Ver.di fordert weitere Korrekturen

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di forderte weitere Korrekturen. "Wir freuen uns, dass nun auch die Regierungskoalition Änderungs- und Beratungsbedarf bei Hartz IV sieht. Dieser Kurs sollte fortgesetzt werden und zwar bei den wirklich schwer gewichtigen Themen", sagte ver.di-Sprecher Harald Reutter der "Berliner Zeitung". Ver.di besteht weiter auf Änderungen bei der Zumutbarkeitsklausel von angebotenen Jobs und auf höheren Freibeträgen in der privaten Altersvorsorge. Arbeitslose müssen nach Hartz IV auch Stellen annehmen, bei denen die Löhne bis zu 30 Prozent unter dem Tarif- oder ortsüblichen Lohn liegen.

Aus dem Urlaub zum Kanzlergespräch

Zunehmende Massenproteste hatten Bundeskanzler Schröder veranlaßt, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub das Spitzentreffen einberufen. Neben Clement nahmen an der Unterredung Finanzminister Hans Eichel, SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzender Franz Müntefering, der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckart sowie Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier teil. Clement und Eichel unterbrachen dafür nach Angaben ihrer Sprecher den Urlaub.

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AP/DPA/Reuters