Energiekrise Laufzeitverlängerung oder nicht? Ampel zofft sich um Atomkraft

Die Atomkraft wird in der Ampel-Koalition zunehmend zum Zankapfel. Aus der Union und der FDP kommen Appelle zur Laufzeitverlängerung der Kraftwerke, die Grünen sprechen von einer "Phantomdebatte".

In der aktuellen Energiekrise verschärft sich der Streit um die Atomkraft: Die FDP erhöht innerhalb der Ampel-Koalition den Druck für längere Laufzeiten der noch verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland. Fraktionschef Christian Dürr sagte der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf die Debatte um Gaslieferungen aus Russland: "Wir wollen nicht den Teufel an die Wand malen. Aber wir müssen uns auf ein Szenario einstellen, das weitreichende Konsequenzen für private Haushalte und die deutsche Industrie haben könnte. Kein Kubikmeter Gas sollte mehr verstromt werden müssen. Deswegen wäre es jetzt richtig, die Laufzeiten der Kernkraftwerke über den Winter hinaus zu verlängern."

Seit Montag wird wegen Wartungsarbeiten kein Gas mehr über die Ostseepipeline Nord Stream 1 geliefert. Dies dauert in der Regel bis zu zehn Tage. Wegen des Ukraine-Kriegs und der westlichen Sanktionen gegen Russland besteht nun jedoch große Sorge, dass der Gashahn zubleibt. FDP-Fraktionschef Dürr sagte dazu: "Es kann passieren, dass nach den Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 kein Gas mehr fließt." Der russische Präsident Wladimir Putin mache, was er wolle. "Es wäre kaum verwunderlich, wenn er technische Gründe vorschiebt, um uns den Gashahn endgültig abzudrehen."

Grüne Spitzenpolitiker lehnen Weiternutzung der Atomkraft ab

Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) hatten von längeren Laufzeiten der drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland, die Ende 2022 vom Netz gehen sollen, abgeraten. "Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen", heißt es in einem Prüfvermerk der Ministerien.

Dürr sagte außerdem: "Zudem sollten wir auch über die Förderung von Gas in der Nordsee sprechen. Wer in diesen Wochen von kaltem Duschen und warmen Pullovern spricht, verkennt den Ernst der Lage. Ideologische Debatten helfen uns im Winter kein bisschen, wenn Versorgungsengpässe drohen." Oberstes Ziel der Bundesregierung müsse eine sichere Energieversorgung sein. "So sinnvoll ein sparsamer Einsatz von Energie grundsätzlich auch ist, jetzt steht die sichere Versorgung an erster Stelle. Dafür müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen."

Die Grünen reagierten verärgert über den erneuten Vorstoß der FDP in Sachen Atomkraft und wiesen die Forderung nach einer Laufzeitverlängerung, die auch aus der Union gekommen war, als "Phantomdebatte" zurück. "Die Bundesregierung hat längst geprüft, welche Energiealternativen zur Verfügung stehen", sagte die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Julia Verlinden, den Zeitungen der Mediengruppe Bayern vom Dienstag. "Eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke gehört nicht dazu."

"Wer jetzt also das Revival der Atomkraft fordert, der führt eine Phantomdebatte, die uns nicht weiterhilft", sagte Verlinden weiter. "Erdgas wird vor allem im Wärmesektor und in der Industrie eingesetzt. Atomstrom hilft uns da nicht."

Auch CDU-Chef Friedrich Merz hatte die Forderung seiner Partei erneuert, eine Laufzeitverlängerug der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus zu ermöglichen. Angesichts der Energiekrise "sollten wir uns nicht die Möglichkeit nehmen, unsere Kraftwerke weiter laufen zu lassen, um damit Gas bei der Stromerzeugung einzusparen", schrieb Merz in einem Gastbeitrag für die "Bild"-Zeitung vom Dienstag. Die Grünen müssten beim Thema Atomkraft über ihren Schatten springen. Es dürfe "keine Denkverbote" geben.

"Tut es für Deutschland", appellierte Merz an die Grünen. Der CDU-Chef betonte zugleich, auch die Union wolle "das baldige Ende der alten Atomkraft in Deutschland". In der aktuellen Lage dürfe sich das Land dieses Energieträgers aber nicht berauben.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Atomkraft als wichtiger Beitrag in einer "akuten Notlage"

Auch der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, Lukas Köhler, bekräftigte die Forderung, die Atomkraft als Option zu prüfen. Sie könne "in einer akuten Notlage einen wichtigen Beitrag leisten", sagte er der Mediengruppe Bayern. Die Politik dürfe sie "nicht einfach vom Tisch fegen".

Köhler warf dem Bundeswirtschaftsministerium vor, im März diese Möglichkeit über "eine eher oberflächliche Prüfung" ausgeschlossen zu haben. "Es wäre fatal, wenn Menschen in Deutschland frieren oder Arbeitsplätze verloren gehen, weil Gas wegen fehlender Alternativen für die Stromproduktion benötigt wird."

DPA · AFP
anb