Aus stern Nr. 21/2005 Der Geist aus der Flasche

Oskar Lafontaine plant die Gründung einer neuen linken Sammlungsbewegung - spätere Heirat mit Gregor Gysis PDS nicht ausgeschlossen. Aus stern Nr. 21/2005

Die Pläne sind gemacht, die Strategie ist geklärt. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen und die folgenden Wochen entscheiden, ob die historische Stunde schlägt. Das Projekt heißt: Spaltung der Sozialdemokratie, Neuformierung der deutschen Linken unter Einschluss der PDS, Rückkehr von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi in die Politik. Das Ziel lautet: Sturz Gerhard Schröders als Kanzler. Die Ironie der Geschichte: Nur Schröders rasches Ende könnte die Pläne noch stoppen und seinen späteren Untergang obsolet machen - jedenfalls aus Sicht der Strategen.

Oskar Lafontaine ist der Chefplaner, Ottmar Schreiner sein Trojanisches Pferd, Franz Müntefering sein Gegenspieler. Der Erste kämpft, sechs Jahre nach seiner Flucht aus Regierung und Parteivorsitz, die letzte Schlacht gegen Schröder, einen Kampf für persönliche wie historische Rehabilitation. Der Zweite, Saarländer wie Lafontaine und als Vorsitzender der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen vollständig isoliert von Schröders Leuten, soll den Kanzler kippen oder irre gewordene Linke in die neue Partei führen. Der Dritte, als SPD-Chef nur der Rettung seiner Partei verpflichtet, ist ahnender Mitwisser der Spaltungspläne und sucht sie durch seine Kapitalismuskritik zu durchkreuzen. Seit Monaten führen sie einen verdeckten Kampf, nun wird er öffentlich.

Nordrhein-Westfalen entscheidet alles. Gewänne die SPD wider Erwarten, dann nur wegen Müntefering - und der Rausch des Sieges würde Schröder faktisch entmachten, seine Regierung durch heftige Turbulenzen auf die neue, linke Parteilinie zwingen. Lafontaine bliebe in Deckung.

Verliert die SPD hingegen, und davon gehen Lafontaine wie Müntefering aus, könnte sich Schröders Schicksal rasch entscheiden. Am 1. Juli, wenn im Bundestag über die Senkung der Unternehmensteuern und die Steuerfreiheit für das Vererben mittelständischer Firmen abgestimmt wird. Wäre Schröder gezwungen, das Votum mit der Vertrauensfrage zu verbinden, um die SPD- Fraktion beisammenzuhalten und die murrende Linke zu disziplinieren, setzte er alles auf eine Karte. Rot-Grün kommt auf 304 der 601 Abgeordneten, drei könnten also äußerstenfalls abspringen. Sechs Wackelkandidaten sind derzeit identifiziert.

Schreiner, der Lockvogel, formuliert harte Bedingungen: Die Senkung der Körperschaftsteuer müsse - auf Kosten der Konzerne selbstverständlich - "bis ins Letzte gegenfinanziert", zudem die Erbschaftsteuer auf "große Privatvermögen" heraufgesetzt werden. Verliert Schröder das Vertrauensvotum, hat der Bundespräsident 21 Tage Zeit, den Bundestag aufzulösen. Spätestens nach 60 Tagen folgten dann Neuwahlen. Da in Bayern die Schulferien erst am 12. September zu Ende gehen, käme der 18. September als Wahltermin infrage. Vermutlich ohne Lafontaine, denn die Zeit reicht kaum für eine Parteigründung. Und Schröder wäre ja schon gestrauchelt, wohl endgültig.

Siegt Schröder aber im Bundestag, rettet er sich und seine Steuerpläne, könnte Lafontaines Maschinerie anlaufen. Austritt aus der SPD, Gründung einer neuen Partei. Die saugt die erfolglose, sektiererische "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG) auf und nennt sich anders: populär und eingängig etwa nur "Die Linke" oder in historischer Anlehnung an die SPD-Abspaltung nach dem Ersten Weltkrieg "Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands" (USPD). Schreiner wird ihr Generalsekretär, frustrierte SPD-Linke folgen ihm. Zeitgleich verkündet Gysi, genesen von Herzproblemen und einer Schädeloperation, seine Rückkehr in die Politik als PDS-Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl 2006.

"Lafontaines Neue und Gysis Alte teilen sich die Reviere auf: Die Neue kandidiert nur im Westen, die PDS nur im Osten ."

Lafontaines Neue und Gysis Alte teilen sich die Reviere auf: Die Neue kandidiert nur im Westen, die PDS nur im Osten, denn in den alten Ländern ist sie historisch gescheitert - bei der Bundestagswahl 2002 konnte sie selbst in Nordrhein-Westfalen nur 1,2 Prozent holen. Die überlässt sie nun Lafontaine - und der ihr den Osten, wo er neben der PDS nichts zu gewinnen hätte. Öffentlich treten beide Parteien als Wahlbündnis auf, nach dem Vorbild von CDU und CSU: eine linke Sammlungsbewegung mit populären Spitzenleuten und einem populistischen Programm.

Kämen die beiden 2006 in den Bundestag, würden sie eine Fraktionsgemeinschaft bilden, der in drei oder vier Jahren die Fusion der Parteien folgen könnte. Die PDS wäre damit historisch - endlich - von ihrem DDR-Erbe erlöst. Die SPD mit Schröder hätte wohl 2006 beim Kampf um die Macht nichts zu gewinnen, die SPD ohne Schröder in dem Rivalen zugleich einen potenziellen Partner gefunden. Lafontaine hat das in seinem Buch "Politik für alle" schon klipp und klar beschrieben: "Die neue Partei könnte, wenn sie den Sprung ins Parlament schafft, sich nur mit einer SPD einlassen, die den neoliberalen Weg verlässt." Er bliebe der linke, quälende Geist, den Müntefering - unbeabsichtigt - aus der Flasche ließ.

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Hans-Ulrich Jörges