Aus stern Nr. 52/2004 Die Patriotismus-Falle

Das Wahlkampfteam um Angela Merkel wird zum Test für die viel beschworene Vaterlandsliebe der CDU. Verweigern sich die mächtigen Männer, ist er verloren. Aus stern Nr. 52/2004.

Patriotismus paradiert nicht auf der Zunge. Er macht keine Worte. Patriotismus lockt auch nicht aus dem Büfett von Begriffskonditoren. Er lässt sich nicht ausstellen. Wer stolziert und renommiert, ist der Pappkamerad des Patrioten.

Denn Patriotismus ist der Schatten, nicht der Scheinwerfer der Tat. Wer solchen Schatten wirft, der ist sich dessen selbst nicht bewusst. Insofern ist Gerhard Schröders Satz "Patriotismus ist das, was ich jeden Tag tue" fast schon sympathisch. Hätte er ihn bloß nicht gesagt. Der Patriot spricht nicht über Patriotismus. Sein Handeln ist anderen Vorbild - und die mögen seine Haltung dann patriotisch nennen. Dem Patrioten ist selbst das egal.

In der Union reden im Moment viele Pappkameraden über Patriotismus. Weil sie darauf beharren, die Vaterlandsliebe gehöre in ihr, nur in ihr Büfett. Und weil sie fürchten, die Liebe zum Land könnte demnächst die Auslage der Konkurrenten schmücken, denen doch so lange und so erfolgreich das Label der Vaterlandslosen angeklebt wurde.

Die CDU bereitet sich damit selbst den Weg in die Patriotismus-Falle. Und sie scheint es nicht mal zu ahnen. Denn wer das Land in der Krise sieht und mit dem Gestus des Retters auftritt, der muss sich auch als Retter beweisen. Dem vaterländischen Reden hat patriotisches Handeln zu folgen - mit vollem Einsatz und persönlichem, ja existenziellem Risiko. Oder die Union stürzt in die Kluft zwischen Wort und Tat. Die Aufstellung der Wahlkampf- und Regierungsmannschaft um die Kanzlerkandidatin Angela Merkel wird zum Patriotismus-Test für die Union.

Bleiben die Verhältnisse so, wie sie sind, verliert sie ihn. Auf dem Düsseldorfer Parteitag war die Bruchkante zwischen beschworener Verantwortung und praktizierter Verantwortungslosigkeit zu besichtigen. Es ist, einfach formuliert, die Bruchkante zwischen Merkel und den Männern, zwischen der reformerisch zappelnden Vorsitzenden und der gelassen, gelangweilt oder gar genussvoll zuschauenden Partei-Elite. Zwei Systeme grenzen hier aneinander: das der Frau aus dem Osten, die es 2006 unbedingt wissen will, und das der Männer aus dem Westen, die sich verweigern, weil Merkels Niederlage Humus der eigenen Karriere 2010 wäre. Soll das Land doch ein paar Jahre warten, ich muss es ja auch! Brutal offen: Friedrich Merz. Fein getarnt: Christian Wulff.

Angela Merkel und Guido Westerwelle könnten Gerhard Schröder und Joschka Fischer das Wasser nicht reichen, lautet Edmund Stoibers böse Diagnose. Stünden die beiden allein, müssten ihre Chancen in der Tat skeptisch beurteilt werden - Westerwelle ist für Merkel mehr Risiko als Stütze. Würde die Kandidatin indes eingerahmt von einem überzeugenden Team, den Besten der Opposition, sähe es ganz anders aus. Denn in der zweiten Reihe ist die Union den ausgezehrten Sozialdemokraten überlegen. Stoiber dachte, klar, an sich selbst. Wenn schon der Traum von einer zweiten Kanzlerkandidatur platzt, will er zumindest einen anderen träumen: den vom regierenden Superminister, der den unerfahrenen jungen Leuten präsidial den Weg weist. Wer käme aus heutiger Sicht dazu? Die niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen, Ärztin und Mutter von sieben Kindern, für Familie; Annette Schavan, Stuttgarter Kultusministerin, für Bildung und Wissenschaft; Dieter Althaus, Thüringer Ministerpräsident, für Aufbau Ost; Michael Glos, CSU-Statthalter in Berlin, für Verteidigung. Das ist schon was - aber das reicht nicht.

In der Union reden viele Pappkameraden über Patriotismus

Wo bleiben die starken und populären Ministerpräsidenten? Speziell Christian Wulff (Hannover), Roland Koch (Wiesbaden) und Peter Müller (Saarbrücken)? Bislang leben sie nach dem Motto: lieber Herr auf dem Dorf als Knecht in der Stadt. Ist wenigstens einer von ihnen bereit, den Kopf hinzuhalten und klar zu sagen, dass er im Falle des Sieges nach Berlin wechseln würde? Besinnt sich zudem der Totalverweigerer Friedrich Merz?

"Ich brauche die Hilfe der ganzen Partei ... Das Ziel ist zu groß, als dass wir auch nur auf einen Einzigen verzichten könnten", hat Angela Merkel auf dem Parteitag gesagt. Und: "Nicht der Egoismus der Generation der 68er, sondern die Verantwortung für künftige Generationen muss uns leiten." Hinter diesen blutvollen Sätzen grinst die bleiche Wirklichkeit der Union: Manche der schwarzen 68er empfinden nicht einmal Verantwortung der eigenen Partei gegenüber, geschweige denn dem Land. Sie haben den Egoismus zur Leitkultur erhoben.

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Hans-Ulrich Jörges