Größte Waffenlobby der USA Von falschem Patriotismus und politischer Manipulation: Was ist die NRA?

Das Logo der National Rifle Association ist auf einer Outdoor-Sportmesse in Harrisburg zu sehen
Die National Rifle Association gilt als eine der mächtigsten Interessengruppen der USA
© Dominick Reuter / AFP
Millionen US-Amerikanern sind ihre Waffen heilig. Und ihre Kirche ist die NRA. Drei Tage, nachdem ein 18-Jähriger im texanischen Uvalde 21 Menschen erschossen hat, lädt die Vereinigung zur Jahrestagung. Ein Blick auf die (noch) mächtigste Waffenlobby des Landes.

In den USA kommen auf 100 Bürger 120 Schusswaffen. 40 Prozent aller Schusswaffen auf der Welt befinden sich in den USA – dabei macht das Land nur vier Prozent der globalen Bevölkerung aus. Laut Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC wurden hier 2020 20.000 Menschen erschossen, mehr als 50 pro Tag. Das FBI zählte allein im vergangenen Jahr 61 Amokläufe, etwa einen alle sechs Tage. Damit waren Schusswaffen die Nummer eins Todesursache für Kinder und Jugendliche, noch vor Verkehrsunfällen.

Das alles ist nichts Neues. Doch der Amoklauf im texanischen Uvalde hat – wieder einmal – die Debatte um strengere Waffengesetze in den USA angeheizt. Ob sich am Ende tatsächlich etwas ändert, ist mehr als fraglich. Zwar sind laut einer Umfrage seit fast zehn Jahren mehr als die Hälfte aller US-Amerikaner für härtere Regulierungen. Zahlreiche hochrangige Politiker haben sich in der Vergangenheit – meist ebenfalls nach blutigen Amokläufen – dafür ausgesprochen, der in vielen Staaten beinahe unkontrollierten Bewaffnung Einhalt zu gebieten. Aber sie scheiterten.

Ab diesem Freitag, drei Tage, nachdem im selben Bundesstaat ein 18-Jähriger 21 Menschen erschossen hat, lädt die Waffenlobby NRA in Texas zur Jahrestagung ein. Neben Ex-Präsident Donald Trump stehen in Houston auch andere prominente Republikaner auf der Rednerliste.

Millionen US-Amerikanern sind ihre Waffen heilig. Und die NRA ist ihre Kirche. Ein Blick auf die mächtigste Waffenlobby des Landes.

Was ist die NRA?

NRA steht für National Rifle Association (etwa: Nationale Gewehr-Vereinigung). Nach eigenen Angaben wurde die Organisation 1871 von zwei Bürgerkriegsveteranen mit dem Ziel gegründet, das "Gewehrschießen auf wissenschaftlicher Grundlage" zu fördern und zu unterstützen. Heute soll der Verein fast fünf Millionen Mitglieder haben (Analysten gehen allerdings von weit weniger aus), wobei mehr als 125.000 von der NRA zertifizierte Ausbilder jährlich rund eine Million US-Bürger den Umgang mit Schusswaffen lehren.

Doch die Ausbildung ist längst zweitrangig. Viel entscheidender ist, dass sich die NRA als "führender Verteidiger der Rechte des zweiten Verfassungszusatzes" sieht. Sprich: Die NRA ist die einflussreichste Waffenlobby in den USA. Seit 1975, so die BBC, bemüht sich die NRA über ihre Lobbyorganisation, das "Institute for Legislative Action", um politischen Einfluss. Mit dem zwei Jahre später gegründeten "Political Action Committee" (PAC) schustert die NRA unter anderem waffenfreundlichen Politikern (fast ausschließlich Republikaner) Wahlkampfgelder zu, und geht gezielt gegen Politiker vor, die sich für strengere Regulierungen einsetzen. Außerdem "benotet" die NRA US-Abgeordnete mit Blick auf deren Haltung zu Waffen-Themen – womit sie ihren Mitgliedern im Endeffekt Wahlempfehlungen ausspricht.

Wieviel Geld gibt die NRA aus?

2020, so die BBC weiter, gab die NRA rund 250 Millionen Dollar aus – weit mehr als alle anderen vergleichbaren Vereine des Landes zusammen. Der Großteil des Budgets fließe allerdings in das Betreiben von Schießständen und die Ausbildungsprogramme. Im vergangenen Jahr verwendete die NRA 3,3 Millionen Dollar für die Lobbyarbeit. Allerdings, so merkt BBC an, handelt es sich dabei nur um die offiziellen Beträge. Wieviel Geld über das PAC an Politiker ausgeschüttet wird, lässt sich nur schwer sagen.

Was bedeutet der zweite Verfassungszusatz?

Hauptargument der NRA ist der zweite Verfassungszusatz der USA. Wörtlich lautet er: "Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden." Nun stammt dieser Gedanke aber aus dem 18. Jahrhundert, als die USA größtenteils aus unerschlossener Wildnis bestand und Bürger in weit voneinander entfernten Siedlungen lebten. Die Schusswaffen dieser Epoche lassen sich zudem kaum mit heutigen vollautomatischen Sturmgewehren vergleichen. Das Recht blieb aber unverändert bestehen.

Auch wenn Waffenlobbys wie die NRA auf die Eindeutigkeit des Verfassungszusatzes pochen, wird dessen Auslegung sehr wohl diskutiert. Grundsätzlich stellen sich Rechtswissenschaftler die Frage, ob der Second Amendment von 1791 nur Milizorganisationen wie der Nationalgarde oder eben auch Privatpersonen das Recht garantiert, eine Waffe zu führen. Der Grundgedanke, so schreiben die Jura-Professoren Nelson Lund und Adam Winkler in einem Beitrag für das National Constitution Center, war die Ansicht der Staatsgründer, dass sich die Bevölkerung im Fall der Fälle gegen eine tyrannische Regierung auflehnen können muss. Doch seien diese Milizen heute in die föderale Struktur der Bundesregierung eingebunden – eine bewaffnete Bevölkerung habe im Revolutionsfall keine Chance mehr, die Herrschenden zu stürzen.

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© Commons
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Was sind die Standpunkte der NRA?

Die NRA sieht es auf Grundlage des zweiten Verfassungszusatzes als ihre Kernaufgabe an, das Recht aller US-Amerikaner auf das Tragen von Waffen zu sichern. In diesem Sinne setzt sich die NRA vehement gegen jede Form von Waffenkontrolle ein. Ihr Argument: Waffen machen das Land sicherer – ungeachtet aller empirischen Gegenbeweise. Auch im Hinblick auf Amokläufe in Schulen, so berichtet der britische "Independent", beharrt die Vereinigung auf diesem Standpunkt. Abseits der teils schattenhaften politischen Einflussnahme, treten NRA-Sprecher regelmäßig, vor allem nach Massenerschießungen, im Fernsehen auf und erklären dort unter anderem die Unterhaltungsindustrie zum wahren Schuldigen für Schusswaffengewalt. So setzte sich die NRA laut BBC auch dafür ein, dass von der Polizei konfiszierte Schusswaffen weiterverkauft werden – deren Zerstörung sei schließlich Verschwendung. Außerdem kämpft die Vereinigung für das Recht der Bürger, Waffen nicht nur zu besitzen, sondern sie auch offen auf der Straße tragen zu dürfen.   

Paradoxerweise, so der "Independent", trat die Organisation bis Ende der 1960er Jahre tatsächlich für die Kontrolle von Waffen und ihrer Besitzer ein. Nach den Attentaten auf US-Präsident Kennedy, Martin Luther King Jr. und dem Ausbruch ziviler Unruhen, schränke die US-Regierung den zwischenstaatlichen Verkauf von Waffen ein. Erst in der darauffolgenden Politisierung der Waffendebatte wurde die NRA zur der Lobbyorganisation, die sie heute ist. Somit hat sich die NRA zu einer Vereinigung entwickelt, die Schusswaffenbesitz nicht nur als Recht, sondern als patriotischen Lebensstil verkauft.

Verliert die NRA an Macht?

Zwar mag die NRA auf dem Papier weiterhin zu den einflussreichsten Interessengruppen des Landes gehören. Doch ihr Siegeszug könnte bald vorbei sein. Wie die "New York Times" im April 2019 schrieb, räumte NRA-Vizepräsident Wayne LaPierre (der als CEO über Vollmachtsrechte verfügt) ein, die Vereinigung in den Bankrott getrieben zu haben. Der Lobbyapparat der NRA sei enorm geschwächt, habe mehr als 100 Millionen Dollar durch Rechtsstreitigkeiten verloren.

Wie die "Washington Post" in einem kürzlich erschienen Artikel berichtet, musste die NRA 2020 ihre Ausgaben für Waffenschulungen internen Unterlagen zufolge um 43 Prozent kürzen; Anfang 2021 habe sie ihre Mitarbeiterzahl um mehr als ein Drittel reduziert. Der nicht zuletzt durch interne Streitigkeiten zunehmende Machtverlust der NRA habe Spielraum für andere, weit extremere Organisationen geschaffen. "Die NRA unternimmt im ganzen Land nichts; alle ihre Mitarbeiter haben sich einen Anwalt genommen und kämpfen untereinander", sagte der Waffenlobbyist Dudley Brown der US-zeitung. Brown selbst ist Präsident der Konkurrenzorganisation National Association für Gun Rights – die seinen Angaben immer reicher und vermögender wird.

Jahrzehntelang waren republikanische Kandidaten auf den monetären und politischen Segen der NRA angewiesen. Doch die Macht der Vereinigung hängt vom Wohlwollen ihrer Basis ab – und der geht die NRA nicht mehr weit genug, sie sei zu kompromissbereit geworden. Auch die Benotung von Kandidaten durch die NRA sei kein Garant mehr für Wählerstimmen geworden, so die "Washington Post". Der zunehmende Bedeutungsverlust der NRA kann folglich nicht als Hoffnung auf ein Einsetzen der Vernunft missverstanden, sondern vielmehr als Vorbote für die Radikalisierung interpretiert werden.

Nach dem Massaker von Texas sagte US-Präsident Joe Biden: "Als Nation müssen wir uns fragen, wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten werden." 

Quellen: BBC; NRA; "National Constitution Center"; "The Independent"; "New York Times"; "Washington Post"; mit Material der Nachrichtenagentur dpa

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