"Wir sind hier um zu sagen: Genug ist genug", sagte die Demokratin Patty Kuderer im April. Kuderer ist Senatorin im Bundesstaat Washington. Sie war eine der Fürsprecherinnen für eine strengere Waffen-Gesetzgebung in dem Bundesstaat. Doch die könnte in diesen Tagen hinfällig werden. Denn das höchste Gericht der USA, der Supreme Court, steht vor einer Entscheidung, die das ohnehin liberale US-Waffenrecht weiter lockern könnte.
Als zehnter US-Bundesstaat verbot Washington Ende April Sturmgewehre, wie die auf tragische Weise bekannt gewordene AR-15. Eine halbautomatische Waffe, die dafür gebaut wurde, um möglichst viele Menschen, möglichst schnell zu töten. Die Waffenlobby-Organisation "National Rifle Association" (NRA) nennt sie "America's Rifle", Amerikas Gewehr. Die "Washington Post" nennt sie "The radicals' rifle", die Waffe der Radikalen. Denn sie ist der mörderische Shootingstar in den Gewaltakten, die in regelmäßigen Abständen Eltern ohne Kinder, Menschen ohne Partner und Waisen hinterlassen: Dem Schulmassaker in Uvalde, Texas, beispielsweise. Dem Amoklauf an einer Grundschule in Nashville, Tennessee. Oder der Schießerei in dem queeren Club Q in Colorado Springs, Colorado.
Supreme Court entscheidet über Sturmgewehre
Aktuell entscheidet der Supreme Court im Fall "National Association for Gun Rights v. City of Naperville". Ein Besitzer eines Waffenladens und eine Waffenrechtsorganisation haben gemeinsam Klage eingereicht. Wegen einer Verordnung in Naperville, Illinois, und der gleichen Gesetzgebung auf bundesstaatlicher Ebene. Diese verbietet Sturmgewehre und den Verkauf von Magazinen mit hoher Kapazität. Die Kläger halten die Gesetzgebung für einen Verstoß des Second Amendment, der Erlaubnis Waffen zu tragen, und damit für nicht verfassungsgemäß (mehr zum Second Amendment lesen Sie hier).
Sollte der Supreme Court dieser Argumentation folgen und die Gesetze kippen, würde sich das auf das gesamte Land auswirken. Zehn Bundesstaaten haben bisher auf unterschiedliche Art den Besitz von Waffen und Sturmgewehren reglementiert. 1990 war Kalifornien der erste Bundesstaat, der halbautomatische Waffen vollständig verbot. Die Entscheidung des Gerichts könnte diese Regeln kippen oder die Bundesstaaten zumindest zwingen, sie aufzuweichen.
Wie das Gericht entschieden wird, ist noch offen. Doch die Richterinnen und Richter am Supreme Court sind mehrheitlich konservativ, viele halten sich an den genauen Wortlaut der Verfassung, wovon eher die Kläger profitieren dürften. Zudem veröffentlichte beispielsweise der von Ex-Präsident Donald Trump eingesetzte Richter Brett Kavanaugh 2011 eine richterliche Meinung, in der er erklärte, halbautomatische Waffen wären nicht gefährlicher als Handfeuerwaffen. Damit folgt er der Argumentation der NRA. Auch weitere Richter wie Neil Gorsuch, Clarence Thomas und Samuel Alito sprachen sich in der Vergangenheit für eine weite Auslegung des zweiten Verfassungszusatzes aus.
In den USA sterben jedes Jahr Tausende durch Massenschießereien
1994 hatte der Kongress schon einmal ein Verbot von Sturmgewehren verabschiedet. Das war allerdings nur zehn Jahre lang gültig und lief danach aus. Damals sank die Wahrscheinlichkeit für Massenschießereien um 70 Prozent, schrieben Forschende in einer Studie von 2019. Heute dürfte ein ähnliches Bundesgesetz in weiter Ferne sein – spätestens dann, wenn der Supreme Court sich zugunsten der Kläger entscheidet. Im Sommer 2022 hatte US-Präsident Joe Biden einen neuen Versuch gewagt. Damals verabschiedete die Demokratische Partei ein Gesetz im Repräsentantenhaus ("Assault weapons ban"), der halbautomatische Schusswaffen verbieten sollte. Doch der Entwurf schaffte es nicht durch den Senat, die zweite Kammer des US-Kongresses.
Die Anzahl von Schießereien hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Laut dem Gun Violence Archive, einer NGO die Informationen über Gewalttaten mit Schusswaffen erfasst, wurden im vergangenen Jahr mehr als 20.000 Menschen durch Massenschießereien getötet. Darunter auch 6152 Kinder und Jugendliche. Mittlerweile sind Schusswaffen die häufigste Todesursache von Kindern und damit trauriger Alltag für viele Familien. Dem Weißen Haus zufolge wurden in den vergangenen 20 Jahren mehr Schulkinder durch Schusswaffen getötet, als Polizeikräfte und Soldaten im aktiven Dienst zusammen.