Es gibt Dinge, die passen einfach nicht nebeneinander in einen Schädel. Und es gibt Dinge, die passen auch nicht nebeneinander in ein Land. Hier soll die Rede sein von einer solchen intellektuellen und politischen Unverträglichkeit, die Scham und Empörung mobilisieren müsste. Der Verstand bäumt sich dagegen auf, sobald er davon erfährt. Und das Land müsste längst dagegen rebellieren, aber es weiß ja nichts davon.
Das eine Ding ist, dass Deutschland über einen Verbotsantrag gegen die rechtsextreme NPD diskutiert und sich auf den Prozess um die rassistische Mörderbande NSU vorbereitet – der Bundespräsident hat gerade Angehörige der Opfer empfangen, und seine Lebensgefährtin war dabei zu Tränen gerührt. Mitte April soll der Prozess in München eröffnet werden. Zwei Wochen später aber, das ist das andere Ding, muss Exit-Deutschland aufgeben, die erfolgreichste Aussteigerorganisation zur Rückgewinnung gefährlicher Rechtsradikaler. Weil Geld fehlt, verdammt wenig Geld, und weil sich in diesem Staat der perfekt organisierten Verantwortungslosigkeit kein Amtsträger fand, der sich der Sache entschlossen annimmt. Es ist eine Schande.
Geringe Rückfallquote
Vierhundertsiebenundachtzig – 487! – Aussteiger hat die preisgekrönte Organisation gewonnen und durch Arbeit oder Ausbildung in die Gesellschaft reintegriert – teils mit neuer Identität, um sie vor Racheakten zu schützen –, seit sich der einstige Kriminalpolizist Bernd Wagner und der Ex-Neonazi-Führer Ingo Hasselbach vor 13 Jahren verbündeten. Nur zehn wurden rückfällig, teils unpolitisch kriminell. "Das Gros der Aussteiger kam aus dem Militanzspektrum, war terrorismusaffin. Kameradschaftsführer, Offizierskorps sozusagen. Wir haben Leute erlebt, die haben schon an Bomben gebastelt. Viele saßen in Haft", sagt Wagner, der profundeste Kenner des militanten Rechtsradikalismus in Deutschland.
Dessen Gewaltpotenzial, das Wurzelgeflecht der späteren NSU-Mörder, hatte er schon als junger Polizist in der untergehenden DDR erkannt. Nach der Wende wurde er unter Innenminister Peter-Michael Diestel Leiter der Kripo-Abteilung für Extremismus und Terrorismus, nach der Wiedervereinigung Chef der Abteilung Staatsschutz im Gemeinsamen Landeskriminalamt der fünf neuen ostdeutschen Bundesländer. Exit-Deutschland gründete er 2000 mit Hasselbach und dem stern-Mann Uli Hauser.
Ihre Arbeit wird seit 2009 überwiegend durch ein Programm von EU und Arbeitsministerium getragen. Das vom Bund kofinanzierte EU-Projekt aber läuft Ende April aus – eine Verlängerung ist nicht zulässig. 657.407,42 Euro, davon knapp 100.000 aus Spenden, hat die Arbeit des fünfköpfigen Exit-Teams über diese vier Jahre gekostet – 164.351,85 Euro pro Jahr. Gut 350.000 würden eigentlich gebraucht.
Es lohnt sich
Die Kosten-Nutzen-Rechnung ist umwerfend. Als der damalige Innenminister Otto Schily im April 2001 eine staatliche Exit-Konkurrenz des Verfassungsschutzes ins Leben rief, veranschlagte er die Kosten je Aussteiger auf 100.000 Mark. Exit hat seit seiner Gründung rund zwei Millionen Euro ausgegeben, nach Schilys Schlüssel wären mehr als 22 Millionen Euro gespart worden. Ohne die menschliche Bilanz: Leben und Gesundheit potenzieller Opfer, Freiheit bekehrter Täter. Dabei ist das zivilgesellschaftliche Exit-Angebot dem des Verfassungsschutzes weit überlegen: Wer zu Exit geht, gibt auf, wer zum Verfassungsschutz geht, gilt als Verräter.
Wagners Bettelgang durch die Politik aber war vergebens. Länder weigern sich, das Innenministerium verweist auf den Verfassungsschutz, das Jugendressort finanziert kein Ausstiegsangebot. Für ein Islamisten-Aussteigerprogramm indes gibt das Innenministerium Exit Geld: 300.000 Euro pro Jahr. Nur vereinzelt wird Wagners Verzweiflung geteilt: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stellte 30.000 Euro in Aussicht, der ehemalige Innenminister Gerhart Baum spendete ein Preisgeld von 2500 Euro. Mobile Beratungsstellen in sieben Ländern mussten schon aufgegeben werden.
Die Häme der Rechten
Die Rechtsradikalen verfolgen die Niederlage des Feindes mit Häme und Triumphgeheul. "Dann sind ja jetzt die ganzen Aussteiger völlig schutzlos den Nazibanden ausgeliefert..schluchz..heul" oder "In den virtuellen Kachelofen!", lauteten Kommentare im rechtsradikalen Internetportal Altermedia.
Falls Sie den Staat beschämen möchten, sei Ihnen das Spendenkonto empfohlen: ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH, Stichwort: Exit, Commerzbank, Konto 0906452700, BLZ 10080000. Aber vielleicht möchte sich ja auch der Staat nicht beschämen lassen. Wagner in den Beirat des "Bündnisses für Demokratie und Toleranz" einzuladen, wie gerade geschehen, seine Arbeit aber zu zerstören, das passt einfach nicht in einen Schädel.