Herr Trittin, in Weißrussland wird eine Pipeline abgeschaltet und schon sprechen alle wieder über den Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg und die Laufzeiten von Kernkraftwerken. Ist das ein Etappensieg der Atomlobby?
Es zeugt vor allem von der Geldgier der großen Konzerne und davon, dass sie auf die Dummheit der Menschen hoffen. Atomkraftwerke erzeugen bekanntermaßen Strom und kein Öl. Die Tatsache, dass gerade zehn Prozent der deutschen Raffineriekapazität für Benzin und Diesel aus Reserven stammen, kann nicht dazu führen, die Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verlängern.
Die Diskussion darüber wird dennoch jedes Mal wieder reflexartig geführt.
Mit der Sicherheit der Energieversorgung hat sie jedenfalls nichts zu tun. Zum einen: Jede abgeschriebene Atomanlage die noch läuft, garantiert dem Betreiber jedes Jahr horrende Gewinne. Dass die Kraftwerksbetreiber im Rahmen des Ausstiegskonsenses auf sie verzichten, scheinen sie heute zu bereuen. Zum anderen: Wenn man ernsthaft etwas für die Energiesicherheit tun wollte, dann würde es schon lange ein Flüssiggasterminal geben. Dass wir das bis heute nicht haben, liegt nicht an Putin, nicht am Atomausstieg und nicht an Gasprom, sondern ausschließlich an der Weigerung großer deutscher Energiekonzerne wie Eon, die keine Konkurrenz von anderen Gaslieferanten in ihren Netzen haben wollen.
Stichwort Flüssig-Erdgas
Komprimiertes Erdgas hat deutlich weniger Volumen als gasförmiges und lässt sich daher einfach transportieren - etwa über Seewege oder über Straßen. Deshalb könnte Flüssig-Erdgas zum Beispiel aus Afrika importiert werden, was die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas erheblich verringern würde.
Sie meinen, die Debatte um die AKW-Laufzeiten lenkt vom eigentlichen Problem ab?
Die Diskussion über die AKW-Laufzeiten dient nur der Stärkung und Sicherung der Marktstellung der vier großen Energiekonzerne. Wir müssen einerseits die Nachfrage nach Energie senken, etwa durch Stromsparen und eine Verbesserung der Energieeffizienz. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die Energieversorgung nicht durch Monopolstrukturen gefährdet wird. Und dazu gehört es, dass jeder Produzent freien Zugang zu den Gasnetzen hat. Also nicht nur für Gas aus Katar, sondern auch für Biogas.
Die Trennung der Versorgernetze von den Produzenten ist gerade Thema auf EU-Ebene. Im März will die Kommission dazu eine Richtlinie vorlegen.
Das ist nur ein halber Schritt in die richtige Richtung. Die Energiekonzerne müssten gezwungen werden, sich dauerhaft und vollständig von ihren Netzen zu trennen. Da sind die Widerstände auch bei der deutschen Bundesregierung aber viel zu groß. Was bis zum heutigen Tag fehlt, ist außerdem der ernsthafte Versuch, die Nachfrage im Verkehrsbereich zu reduzieren. Die Autoindustrie hat der EU, also den Völkern Europas, versprochen, bis zum Jahr 2008 den Durchschnittsverbrauch von sechs Liter für Benziner und 5,5 Liter für Diesel zu senken. Davon sind wir meilenweit entfernt. Wenn man diese Selbstverpflichtung einhalten würde, wären wir locker in der Lage, mit Ausfallsituationen wie der jetzigen fertig zu werden.

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Was erwarten Sie von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft?
Jedenfalls nicht, dass sie die Atomkraft unterstützt. Auch die internationale Energiebehörde geht davon aus, dass der Anteil der Atomenergie kontinuierlich sinken wird. Wir brauchen also kein Gerede über neue Kernkraftwerke. Wir brauchen verbindliche Ausbauziele über erneuerbare Energie, und Einsparziele, was die Nachfrage nach Energie betrifft. Aber an diesen beiden Punkten kneift die EU-Kommission. Sie reduziert ihr Klimaschutzziel von 30 auf 20 Prozent bis 2020 und sagt, zum Erreichen dieses Ziels sind AKW erforderlich. Das ist das unglaubwürdigste, was man sich vorstellen kann. Ich hoffe, die deutsche Ratspräsidentschaft setzt ihre Ankündigungen um, dass Europa bis 2020 30 Prozent und nicht nur 20 Prozent der Treibhausgase einspart. Und dass man mindestens ein Viertel an Wärme, ein Viertel an Treibstoff und ein Viertel an Strom aus erneuerbaren Quellen beziehen will.
Einige Energievertreter, wie EnBW-Chef Utz Claassen, behaupten, in Zukunft würden Öl und Gas durch Strom ersetzt. Zum Beispiel, um damit zu heizen. Da spricht doch wohl auch der Lobbyist aus ihm?
Herr Claassen scheint zu vergessen, dass Wärmeerzeugung durch Strom völlig ineffizient ist. Die Zukunft der Wärme liegt darin, Gebäude besser zu isolieren, erneuerbare Energien stärker einzusetzen und intelligente Anlagen zu bauen, die Wärme und, als Abfallprodukt, Strom liefern. Der kann zudem in das Stromnetz einspeist werden. Hier sind sich auch alle seriösen Fachleute einig. Dass diese Entwicklung einem Monopolisten wie EnBW nicht gefällt, ist verständlich. Aber auch hier zeigt sich wieder: In Wirklichkeit ist die energiepolitische Debatte eine Debatte darüber, ob diejenigen, die zurzeit ein Monopol haben, dieses Monopol behalten dürfen, oder ob es tatsächlich einen Wettbewerb geben wird.
Fritz Vahrenholt, Energiemanager bei dem Windrad-Betreiber Re-Power sagt, die Entscheidung, Atomkraftwerke abzuschalten, sei richtig. Nur müsse der Zeitpunkt nach hinten verschoben werden, weil es sonst eng werden könnte mit der Stromversorgung.
Herr Vahrenholt ist Vorstandschef einer Firma, deren Mehrheitseigentümer die französische Atomindustrie ist. Ich erwarte da keine besonders kritischen Worte gegen die Atomkraft. Schauen sie, was in den vergangenen Jahren passiert ist: 1998/99 wurde die deutsche Stromerzeugung zu vier Prozent aus erneuerbaren Energien bestritten. Heute sind es mehr als elf Prozent. Das heißt, es ist mit den erneuerbaren Energien mehr Strom ans Netz gebracht worden, als mit der Abschaltung von bislang drei Atommeilern verloren gegangen ist. Es muss also gar kein Strom ersetzt werden. Und das wird auch nicht nötig sein, wenn, wie geplant, die nächsten vier AKW vom Netz gehen werden. Im Gegenteil, Deutschland hat gigantische Stromreserven und ist Stromexportland.