Die ansteckendere Delta-Variante des Coronavirus breitet sich in Deutschland weiter aus. Wochenlang hatten Berichte des Robert Koch-Instituts (RKI) mit Auswertungen von Stichproben keine merkliche Zunahme des Anteils von Delta erkennen lassen. Das hat sich nach Daten vom Mittwochabend geändert: Es zeigt sich darin eine Verdoppelung des Delta-Anteils im Wochentakt, auf rund 15 Prozent (Woche vom 7. bis 13. Juni). Damit stellt sich ein Tempo ein, das von Virologen befürchtet wurde.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet mahnt trotz einer niedrigen Inzidenz wegen der Delta-Variante zur Vorsicht, wie er am Mittwoch auf einer Landespressekonferenz in Düsseldorf sagte. Die Ausbreitung bereite Sorge, aber die Impfkampagne sei das Mittel dagegen.
Kritik von Politiker:innen an Laschets Äußerung
"Alles was wir tun, muss verhältnismäßig sein. Irgendwann liegen wir bei null (bei den Inzidenzen, Anm. d. Red.). Da kann man nicht sagen: 'Wir liegen jetzt bei null. Es gibt zwar keine Inzidenzen mehr, es gibt zwar keine Verbreitung mehr, aber wir halten alle Grundrechtsbeschränkungen mal aufrecht, weil möglicherweise irgendwann doch etwas kommen könnte.' Das hält vor keinem Gericht stand", so Laschet. Dies sei auch verfassungswidrig. Man müsse vorsichtig sein, Delta im Blick haben, "aber wenn trotz der Verbreitung der Delta-Variante die Inzidenz nicht steigt, sondern jede Woche immer weiter sinkt, scheint ja die Auswirkung nicht so groß zu sein."
Dieser letzte Satz lässt aufhorchen – und sorgt für Kritik. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Oberarzt der Ärztlichen Leitung des Rettungsdienst Berlin schrieb: "Während die Kanzlerin jederzeit CT-Werte & Viruslast-Konzentrationskurven erklärt, gibt es nach 1,5 Jahren Pandemie noch immer Politiker, die weder Latenzzeit, verdecktes Wachstum, noch saisonale Effekte verstanden haben. Laschet gehört zu diesen Politikern." Die nordrhein-westfälische SPD-Landtagsabgeordnete Sarah Philipp kommentierte: "Ausschweifende Gestik kann Ahnungslosigkeit nicht immer verbergen."
Andere Twitter-User:innen kommentieren die Aussage ebenfalls. "Das ist dieselbe Logik wie... 'Ich bin jetzt 3000m ohne Fallschirm gefallen und mir ist nichts passiert, da kann der ja gar nicht so wichtig sein....'", heißt es etwa. Ein anderer schreibt: "Armin der Große wird uns aus jeder Krise herausführen, die er selbst nicht verstanden hat."
Die gehörlose Lippenleserin und Grünen-Politikerin Julia Probst bewertete die Körpersprache des Kanzlerkandidaten bei dieser Aussage: "Ich weiß ja nicht, was Laschet da sagt, aber er scheint völlig davon überzeugt davon zu sein, dass er etwas richtig wiedergibt. Aber in Wahrheit sieht man an seiner Körpersprache, dass er keine Ahnung hat."
Die absolute Zahl an wöchentlichen Delta-Fällen hat laut RKI seit der 21. Meldewoche zugenommen, von etwa 270 auf rund 470 in der 23. Meldewoche. Insgesamt ist die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland tatsächlich weiter rückläufig und sehr niedrig. Das erklärt sich durch den deutlichen Rückgang der Ansteckungen, die von der noch dominanten Alpha-Variante (Anteil 74 Prozent) verursacht werden. Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, sieht in der Entwicklung keinen Grund zur Panik, hält Wachsamkeit aber für angebracht: Es könnte ein Kipppunkt sein.
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Laschet hält an Öffnungskurs in NRW fest
Trotzdem wolle auch in Zukunft weitere Öffnungs- und Lockerungsschritte unternehmen, so Laschet. "Du kannst im Ist-Zustand den Menschen nicht Rechte vorenthalten, wenn es den objektiven Grund dafür gar nicht mehr gibt", so der CDU-Politiker. "Wir werden in den nächsten Jahren mit Coronaviren leben müssen."
Auch die Schulen in NRW sollten nach den Sommerferien offenbleiben, obwohl er mit einem Anstieg der Corona-Fallzahlen im Herbst rechne. Der Bildschirm könne soziale Kontakte für Kinder und Jugendliche nicht ersetzen. "Wir bereiten uns sehr genau für die Zeit nach den Sommerferien vor, so dass dann ein sicherer Schulstart beginnen kann." An der Maskenpflicht in Schulen halte man bis zu Beginn der Sommerferien fest. Laschet machte außerdem klar, dass es keine Impfpflicht für Schüler:innen geben werde, womit das Land der Ständigen Impfkommission (Stiko) folge.