Bundestagswahl AfD jubelt, SPD schmiert ab: Diese Lehren lassen sich aus der Wahlwiederholung in Berlin ziehen

Wahlumschläge und ein geöffneter Wahlzettel liegen auf einem Tisch.
Wiederholungswahl in Berlin: Die FDP verliert einen SItz im Bundestag. Bei der Wahl wurde bloß eine geringe Wahlbeteiligung von 51 Prozent erreicht.
Sehen Sie im Video: Wiederholungswahl in Berlin – FDP verliert Sitz im Bundestag.
Videoquelle: ntv.de
Wiederholung der Bundestagswahl in Teilen der Hauptstadt: Ein Fünftel der Berliner durfte noch einmal an die Urnen – kleiner Ausschnitt, große Augen. Denn vor allem für die Ampel gibt es zum Auftakt des wichtigen Wahljahres 2024 Grund zur Unruhe.

Berlin hat gewählt, und der Tag danach wird zeigen, welch erstaunliches Potenzial ein Prozent haben kann. Denn nur etwa ein Hundertstel der Wahlberechtigten in Deutschland durfte in Berlin noch einmal wählen – setzte aber ein paar deutliche Signale. Die AfD kann jubeln. Die CDU mag einigermaßen zufrieden sein. Und die Ampel-Koalition kassiert eine Schlappe, die neue Debatten in und zwischen ihren Parteien entfachen wird. Die Regierung wurde am Sonntag nicht gewählt oder abgewählt, aber sie geht keineswegs erhobenen Hauptes ins wichtige Wahljahr 2024 – sie stolpert hilflos Richtung Abgrund. 

Es war der erste Test in einem wichtigen Wahljahr – gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten lag Berlin mit seiner Nachwahl zwischen Bremen und dem Saarland. Nur ein kleiner Ausschnitt also, aber manch einer in der Bundespolitik wird trotzdem große Augen machen. Erstmals ging es nicht mehr um Umfragen und Stimmungen, sondern um konkrete Resultate. Und die halten einige Lektionen bereit.

Stimmung für die Ampel noch schlechter als gedacht

Erstens: Die Stimmung für die Ampel-Koalition ist schlecht, womöglich noch schlechter als gedacht. SPD und FDP sind die größten Verlierer in Berlin. Die Sozialdemokraten erhielten bei rund 550.000 Wahlberechtigten in absoluten Zahlen mehr als 50.000 Zweitstimmen weniger als im ersten Durchgang 2021. Das heißt: Die Kanzlerpartei verfügt über keinen Kanzlerbonus, sie kann ihre Anhänger nicht mobilisieren und ist weit davon entfernt, auch nur annähernd das Wahlergebnis von 2021 zu bestätigen, obwohl das schon eines der schlechtesten in der Geschichte der SPD war. Olaf Scholz versprach im letzten Wahlkampf Respekt, doch der Respekt für Olaf Scholz schwindet.

Zweitens: Die FDP hat nicht nur stark an Stimmen eingebüßt, sondern tatsächlich auch einen Abgeordneten verloren. Ihr Stimmenanteil in der Nachwahl sank deutlich unter die Fünf-Prozent-Marke. Das wird die Unruhe in der Partei noch deutlich steigern – zumal die Grünen zumindest ihren Stimmenanteil halten konnten, auch wenn sie in absoluten Zahlen ebenfalls verloren. Sollte es an diesem Montag wieder ein Selfie von Christian Lindner und Robert Habeck geben, hat nur einer von beiden Grund zu grinsen.

Damit bestätigt sich in Berlin, dass die Klientel der Grünen nachsichtiger mit der Vorstellung ihrer Partei in der Bundesregierung umgeht. Grüne Anhänger zeigen sich pragmatischer gegenüber Zugeständnissen in der Zuwanderungspolitik, bei Waffenlieferungen oder in der Energieversorgung – so ist eben Regieren. Und Regieren ist trotzdem besser als in der Opposition zu schmachten.

So sieht man das bei den Liberalen offenkundig nicht. FDP-Chef Christian Lindner ist mit der Nachwahl in Berlin wieder näher an jenen Punkt zurückgeworfen worden, an dem sich sein Satz: "Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren" von einer Feststellung in eine Forderung verwandelt.

Trotz Demos gegen rechts: AfD mobilisiert ihre Wähler am besten

Drittens: Die AfD vermag ihre Wähler am besten zu mobilisieren. Als einzige Partei hat sie trotz geringerer Wahlbeteiligung in absoluten Zahlen mehr Zweitstimmen erhalten. Damit entfällt beim Blick auf die Umfragen künftig die Hoffnung mancher Betrachter, dass nicht alle Befragten, die den Demoskopen sagen, sie wählten die AfD, in der Wahlkabine auch wirklich das Kreuz bei der AfD machen. Die Lehre aus Berlin lautet: Sie tun es. Und davon halten sie einstweilen auch keine Demonstrationen ab, nicht einmal eine AfD-Kandidatin, die im Gefängnis sitzt. Womöglich fühlen sich manche AfD-Wähler davon sogar eher bestärkt, weil sie damit ihrerseits demonstrieren gegen eine Mehrheitsgesellschaft, von der sie sich ausgegrenzt fühlen, oder sogar von einem System, das sie mittlerweile ablehnen.

Fünftens: Der größte Verlierer ist Berlin. Vier von bislang 21 Mandaten verliert die Hauptstadt, drei an andere Bundesländer, eines ersatzlos. Die Stadt hat sich mit ihrer Chaos-Wahl 2021 selbst geschwächt. Eine gerechte Strafe, wenn man so will. Nur eine Ungerechtigkeit bleibt: Michael Müller, der als Regierender Bürgermeister für die Wahlvorbereitungen 2021 verantwortlich war, hat sein Mandat im Bundestag verteidigt.