Der Rechtsprofessor Vernor Munoz ist ein höflicher Mensch. Selbst Missstände und Schwierigkeiten vermag der UN-Experte für das Menschenrecht auf Bildung diplomatisch auszudrücken. Das macht ihn für viele sympathisch. Das half auch Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) und der Kultusministerkonferenz (KMK), die zunächst als recht unangenehm empfundene Inspektion des deutschen Bildungssystem durch die UN-Menschenrechtskommission doch noch mit einem gemeinsamen Auftritt vor der Presse in Berlin zu einem Abschluss zu bringen.
Doch die unterschiedlichen Positionen lagen dabei klar auf dem Tisch. Deutlicher als erwartet kritisierte der UN-Gesandte die weltweit nur noch in Deutschland und Österreich übliche Aufteilung von zehnjährigen Kindern auf Haupt-, Realschule und Gymnasien und damit die Zuweisung zu unterschiedlichen Bildungswegen. Nachteile von Schülern aus armen Verhältnissen oder aus Migranten-Familien würden durch diese "sehr frühe" Auswahl noch verstärkt. Deutschland sollte eine offene Debatte "über Struktur, Inhalte und Organisation" seiner Schulen führen, empfahl Munoz.
Reformpaket nach erstem Pisaschock
Nach dem ersten deutschen Pisa-Schock im Dezember 2001 hatten sich die Kultusminister schnell auf ein Reformpaket verständigt und dabei vor allem mehr frühe Bildung schon im Kindergarten in den Mittelpunkt gerückt. Die Frage der Schulstruktur wurde dagegen mangels Aussicht auf Konsens zum allgemeinen KMK-Tabu erklärt. Daran waren auch einige SPD-Minister beteiligt, die die bitteren Bildungsschlachten der 70er Jahre um die Gesamtschule und um ein längeres gemeinsames Lernen der Kinder immer noch als Albtraum empfinden.
Munoz sieht hingegen durch die frühe Aufteilung der Kinder Begabungsreserven in der Gesellschaft verschenkt. "Die Bildung in Deutschland bezieht nicht alle ein", klagt Munoz. Mit dieser Auffassung steht der UN-Experte nicht allein. Auch der internationale Pisa-Koordinator Andreas Schleicher von der OECD aus Paris wird nicht müde, das dreigliedrige Schulsystem und die frühe Selektion der Kinder als eine Ursache für die in Deutschland festgestellte enge Koppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg anzuprangern.
Berlins Schulsenator Klaus Böger (SPD), der als KMK- Vizepräsident Munoz begleitete, sieht in der deutschen Schulstruktur zwar "ein Thema", aber kaum Einigungschancen unter seinen Länder-Kollegen.
In Sachen Schulstruktur ist in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung geraten - auch über Parteigrenzen hinweg. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben nach der deutschen Einheit ihr Schulsystem von vornherein zweigliedrig unter Verzicht auf eine eigenständige Hauptschule organisiert. Auch im Westen versuchen einige Länder - Hamburg, Saarland und Schleswig-Holstein - die traditionelle deutsche Dreigliedrigkeit langsam aufzubrechen. In anderen Ländern, wie in Nordrhein-Westfalen, geht dagegen der Zug wieder in Richtung einer schärferen Dreigliedrigkeit.
Bildungsvisite sorgsam vorbereitet
Ein halbes Jahr lang hatten Auswärtiges Amt, Bildungsministerium und KMK sorgfältig die Bildungsvisite des UN-Menschenrechtsexperten vorbereitet, die man als "Routinebesuch" herunter zu spielen versuchte. Bei seinen Besichtigungen bekam Munoz vor allem die Schokoladenseite der deutschen Bildung zu sehen: Eine Kindertagesstätte in Potsdam, die vorbildhaft behinderte und nichtbehinderte Kinder integriert, eine mehrfach ausgezeichnete Grundschule im Berliner Problem-Stadtteil Wedding und eine Grundschule in München mit europaweit preisgekrönter Architektur und einer speziellen Sprachlernklasse für die ausländischen Mütter.
Ob Munoz tatsächlich mit seinem Abschlussbericht, der er erst 2007 vorlegen wird, eine Debatte über die Schulstrukturen in Deutschland anstoßen kann, bleibt abzuwarten. Folgt man den ersten Reaktionen auf seine Äußerungen, dann sitzen die Schulkampfkontrahenten von einst schon wieder in ihren Schützengräben.