Boris Pistorius ist nicht zu verstehen. Doch das liegt nicht an ihm. Als der Verteidigungsminister am Mittwochmittag im Bundestag zur Regierungsbefragung ans Mikrofon tritt, bleibt dieses zunächst ausgeschaltet. Vom Minister ist nur dumpfes Gemurmel im mäßig besetzten Plenarsaal zu hören.
Umso deutlicher klingen seine Worte, als das technische Problem behoben ist. Drastisch schildert Pistorius zunächst Eindrücke von seinem Besuch im kriegszerstörten Odessa in der vergangenen Woche. Von zerstörten Wohnhäusern, Raketenalarm und schwer verletzten Soldaten.
Dann warnt er vor dem ungebrochenen Kriegswillen des russischen Präsidenten: "Für Putin spielen diese menschlichen Schicksale keine Rolle. Er hat den Krieg begonnen, und er wird nicht aufhören." Russland habe "längst auf Kriegswirtschaft umgestellt und rüstet weiter auf".
Das habe nicht nur Folgen für die Ukraine. "Wir dürfen nicht glauben, dass Putin an den Grenzen der Ukraine, wenn er soweit kommt, Halt machen wird", sagt Pistorius und nennt weitere potenzielle Ziele Moskaus: "Russland ist auch für Georgien, für Moldawien und letztlich auch für die Nato eine Bedrohung."
Kriegstüchtig bis 2029 – ist das zu schaffen?
Angesichts dieses Szenarios dürfe Deutschland auch seine eigene Verteidigungsbereitschaft nicht vernachlässigen, sagt Pistorius und wird konkret: "Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein."
Es ist nicht das erste Mal, dass dieses Datum genannt wird. Im Februar hatte bereits der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, in einem Interview mit der "Welt am Sonntag" gesagt, die Bundeswehr müsse "in fünf Jahren kriegstüchtig" sein.
Der Weg für die an Personalmangel leidende Bundeswehr ist noch weit. „Ich bin überzeugt, wir brauchen eine neue Form des Wehrdienstes“, betont Pistorius deshalb noch einmal im Bundestag.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Schwedisches Modell als Vorbild
Nach Informationen des stern will er seine Pläne dazu am kommenden Mittwoch öffentlich machen. Bekannt ist bereits, dass sie in großen Teilen dem schwedischen Modell entsprechen sollen, das eine Musterungspflicht für alle 18-Jährigen vorsieht. Wobei in Deutschland wohl nur Männer betroffen wären, weil für Frauen eine Grundgesetzänderung notwendig wäre.
Aus dem Kontingent derjenigen Bewerber, die tauglich und bereit zum Wehrdienst sind, soll dann rekrutiert werden. Ob wie in Schweden am Ende auch die Pflicht steht, Dienst zu leisten, wenn die Freiwilligenzahl nicht ausreicht, hat Pistorius bislang noch offen gelassen. Aber bei seinem Auftritt im Bundestag deutet er an, "dass ein solcher Wehrdienst nicht völlig frei von Pflichten welcher Art sein kann“.
Fraglich ist, ob Pistorius sich damit in der SPD durchsetzen kann. Zumal Olaf Scholz bereits zu Protokoll gegeben hatte, dass er jede Form einer Pflicht zum Wehrdienst ablehnt.
Es knirscht zwischen Kanzler und Minister
Ohnehin knirscht es beim Thema zwischen dem Bundeskanzler und seinem Minister. Eigentlich hatte Pistorius seine Wehrdienst-Pläne bereits öffentlich präsentieren wollen. Doch Kanzler Olaf Scholz soll ihn persönlich davon abgehalten haben, um den Europawahlkampf der SPD nicht mit dem Thema zu belasten.
Denn da wirbt die SPD mit einem Begriff, der im Gegensatz zu Pistorius' "Kriegstüchtigkeit" steht: "Frieden sichern" steht auf den Plakaten mit den Konterfeis von Scholz und der Spitzenkandidatin Katarina Barley.
Wann er diesen Widerspruch auflösen wolle, wird der Verteidigungsminister bei der Regierungsbefragung im Bundestag vom CDU-Abgeordneten Thomas Röwekamp gefragt.
Da tut Pistorius ahnungslos: „Diesen Widerspruch gibt es nicht." Die Wahlwerbung drücke nicht aus, "dass Frieden versprochen wird, wer könnte das schon?". Es gehe vielmehr darum, "für Frieden einzutreten". Und dafür sei auch die Fähigkeit notwendig, sich zu verteidigen. Abschreckung zur Friedenssicherung.
Wie es denn um die "Friedenstüchtigkeit" Deutschlands bestellt sei, will der AfD-Abgeordnete Rainer Rothfuß von Pistorius wissen. Er bekomme den Eindruck, dass es "gar keinen Plan mehr für einen Ausstieg aus dem Eskalationsszenario" gebe. Es sei Putin, der den Krieg wolle und diesen beenden könne, gibt Pistorius zurück und wirft der AfD vor, russischer Propaganda "auf den Leim" zu gehen.
"Nun beruhigen wir uns mal wieder alle"
Es ist eine andere Frage aus der AfD, die Pistorius kurz die Contenance verlieren lässt. Der Abgeordnete Martin Reichardt wirft dem Minister vor, er wolle den Begriff der "Kriegstüchtigkeit" nicht zur Landesverteidigung nutzen, sondern um in Wirklichkeit für einen Bundeswehreinsatz in der Ukraine aufzurüsten.
"Manchmal wundert man sich über den intellektuellen Gehalt einer Fragestellung", kontert Pistorius scharf. "Und man stellt sich unweigerlich die Frage, ob der eine oder andere in einem Paralleluniversum unterwegs ist. In diesem Universum jedenfalls, in dem wir leben, hat Putin die Ukraine angegriffen und wir unterstützen sie in ihrem Abwehrkampf." Als das Protest in den AfD-Reihen auslöst, bricht Pistorius ab und setzt sich einfach hin.
Später nutzt er eine Frage des Grünen-Abgeordneten Janosch Dahmen zur Finanzierung der Ukraine-Hilfe, um nochmal in Richtung AfD zu keilen. Die stelle, im Gegensatz zu Dahmen, "dumme Fragen" und lasse sich dabei auch noch aus Moskau oder Peking "sponsoren".
Bundestagspräsidentin Bas wird es zu bunt
Doch das geht Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu weit. "Ich bitte Sie wirklich, mit den Abgeordneten respektvoll umzugehen, ob einem die Frage gefällt oder nicht", mahnt sie den Parteifreund Pistorius. Den einen oder anderen Kommentar könne er auch mal "runterschlucken".
Ein Versprechen gibt Pistorius an diesem Mittwoch den Abgeordneten: "Kriegspartei wollen wir nicht werden und werden wir nicht werden." Es ist ein Versprechen für den Moment.
Sollte Russland jemals die Nato angreifen, könnte ein deutscher Verteidigungsminister ein solches Versprechen nicht mehr geben.