Die Rangliste der Verlierer dieser Präsidentenwahl steht eindeutig fest. Ganz oben steht die schwarz-gelbe Koalition, die doch bei dieser Gelegenheit einen kraftvollen Neustart nach Monaten der politischen Unfähigkeit und Untätigkeit vorführen wollte. Die innere Kraftlosigkeit von Angela Merkel und Guido Westerwelle reichte sportlich betrachtet nur zu einem Hürdenlauf, bei dem sie alle Hindernisse bis auf das allerletzte rissen und mit miserabler Zeit ins Ziel kamen.
Von neuer Führung, von Geschlossenheit keine Spur. Das politische Signal des Wahlablaufs kann nur als Misstrauensvotum gegen die Kanzlerin und ihren Vize interpretiert werden. In Union und FDP sind alte Rechnungen von den Abweichlern beglichen worden, sachlicher wie personeller Machart. Nichts wäre fataler, als wenn sich Liberale und Union jetzt die Schuldfrage wechselseitig zuschieben würden. Blamiert hat man sich gemeinsam. Der Autoritätsverlust der Führung ist eindrucksvoll dokumentiert worden. Das Wörtchen "Klatsche" beschreibt den Vorgang eher beschönigend. Dass Wulff im 3. Wahlgang die absolute Mehrheit gewährt wurde, die ihm zuvor verweigert worden war, kann als zusätzliche Ohrfeige für Merkel und Westerwelle verstanden werden. Eindeutiger Verlierer ist auch die Linkspartei. Mit einem geschlossenen Votum in der dritten Runde für den Kandidaten Gauck hätte sie ein symbolisches Signal gesetzt. Dafür, dass Rot-Rot-Grün in der Parteienland-schaft vor allem im Blick auf die Bundestagswahl 2013 doch eine Perspektive besitzt. Daraus wurde nichts, weil die Linkspartei mit ihrer Ablehnung Joachim Gaucks bei der Konkurrenz mit dem konservativen Bewerber Christian Wulff sich gänzlich außerhalb künftiger Mehrheitschancen positioniert hat. Andererseits muss man akzeptieren, dass die politischen Positionen Gaucks so weit außerhalb der Linkspartei verlaufen, dass mehr als letztlich eine Freigabe des Votums für ihre Delegierten nicht erreichbar war.
Rot-grüne Gewinner
SPD und Grüne haben zwar die Abstimmung am Ende doch verloren. Gewonnen haben sie unterm Strich dennoch. Sie konnten nie ernsthaft hoffen, ihren Kandidaten durchzubringen. Aber profitieren werden sie garantiert bei den Bürgern dafür, diesen Mann, der ihre Sprache spricht, ihnen fürs Präsidentenamt angeboten zu haben. Christian Wulff ist zum neuen Präsidenten gewählt worden. Ein Gewinner im ranghöchsten Staatsamt muss er erst noch werden. Schwer genug wird dies. Angela Merkel hat ihn diskussionslos ihrer Koalition als Kandidaten förmlich hingeknallt, ohne eine halbe Silbe Diskussion. Ein souveräner Prozess war das nicht. Die Person Wulff wurde als linientreuer Parteisoldat aufgetischt, nicht als Mann mit eigener Selbstbestimmung. Als Aufsteiger eben, dem die Linie der Partei heilig ist und der allemal macht, was man ihm sagt. Halt ein Karrierist. Die Kanzlerin hat ihn zu schlechterletzt auch noch dadurch beschädigt, dass sie geradezu schwärmerisch darüber redete, wie schön es sei, dass jetzt bald auch einmal Kinderlachen in Schloss Bellevue zu hören sein werde. Damit reduzierte sie Wulffs präsidialen Qualitäten letztlich auf sein jugendliches Alter. Dabei steht dieser Bundespräsident vor einer ungleich schwereren Aufgabe als seine Vorgänger. Noch nie war die Entfremdung zwischen politischen Strukturen und gesamtgesellschaftlichen Erwartungen so krass wie heute. Noch nie misstrauten die Bürger ihren politischen Repräsentanten so sehr wie heute.
Dies zu überbrücken als Moderator eines überaus schwierigen Prozesses, das ist Aufgabe und Chance des neuen Bundespräsidenten, zumal er nicht als grauhaariger Karrierepolitiker daherkommt, der als Krönung seines Weges ins Präsidialamt dem Ruhestand entgegen blicken darf. Die Republik benötigt einen Mann in diesem Amt, heute mehr denn je zuvor, der die Integration zwischen Ost und West bewältigt, Chancengleichheit für Immigranten erreicht, die Solidarität der Generationen wieder weckt, im sozialen Netz nicht die Schwachen nur kasernieren möchte, sondern ihnen vor allem über bessere Bildungschancen neue Chancen bietet.
Noch nie ist ein neuer Präsident unpolitisch und überparteilich aus dem Himmel ins Schloss Bellevue geschwebt. Wer davon schwärmt, betreibt eine unsinnige Mythologisierung der Präsidentenwahl. Was indes vom Bundespräsidenten Wulff zu fordern ist: Dass er sich eindeutig aus den Fesseln der Parteipolitik befreit, die ihn jetzt ins Amt gehievt hat. So kann er noch die Anerkennung für sich erwerben, die ihm bei seiner Wahl nur sehr bedingt zuteil geworden ist.