72,5 Prozent - eine breite Mehrheit stimmte im Bundestag dafür, den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu verlängern. Wer dies als Beleg außenpolitischer Klugheit versteht, begibt sich auf einen politisch gefährlichen Pfad. Denn verlängert wird letztlich eine Strategie, deren Wirkungslosigkeit seit 2001 vielfach bewiesen ist. Vor dieser Abstimmung gab es im Bundestag zahlreiche Ermunterungen, so weiterzumachen wie bisher. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) jubelte in naiver Freude, afghanische Kinder würden schon wieder Drachen steigen lassen. Dass immer mehr dieser angeblich glücklichen Kinder mit Steinen nach den fremden Soldaten werfen, wird dezent verschwiegen. Aber für die FDP ging es ja auch nicht nur um Afghanistan. Ihre Zustimmung sollte zugleich die Autorität von Parteichef Guido Westerwelle untermauern, der sich mit Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg um den Abzugstermin streitet.
Auch Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich beglückt über das Abstimmungsergebnis, weil nicht allzu viele Genossen der SPD-Fraktion von seiner Linie abgewichen sind. Die lautet: Der Abzug aus Afghanistan muss bald beginnen, wenn er bis 2014 abgeschlossen sein soll. Ja, wenn nur das Wörtchen wenn nicht wäre! Die vergangenen acht Jahre waren für den Frieden in diesem Land acht vertane Jahre. Ungeklärt ist, ob nach dem Abzug der Militärs eine Machtbeteiligung der Taliban möglich sein wird. Das korrupte Regime Karsai, das sich durch Drogenhandel hemmungslos bereichert, unterdrückt diesen Gedanken bis heute. Ebenso wie den Gedanken, ein anderes, rechtsstaatliches Afghanistan aufzubauen. Denn auch diese Perspektive würde bedeuten, dass Kasais Regime seine Privilegien nicht aufrecht erhalten kann.
All das entwertet das "Ja" des Bundestags zum Abzug aus Afghanistan. Die SPD hat bisher nicht eingesehen, dass die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder sich 2001 auf einen Krieg eingelassen hat, der mit militärischen Mitteln nie zu gewinnen ist. Wer sich wie ein Großteil der Grünen bei der Abstimmung in Enthaltung flüchtet, drückt sich einmal mehr vor der Mitverantwortung für den Tod von 40 deutschen Soldaten und dem Tod tausender Zivilisten, denen man den Frieden versprochen hatte. Wer wie Union und FDP einfach zustimmt und diese mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet, unternimmt den billigen Versuch, einen deutschen Kriegseinsatz zu rechtfertigen, für den es gerade aus der Perspektive der deutschen Geschichte keine Rechtfertigung geben kann.
"Nie wieder Krieg" haben die Parteien einst den Deutschen eingebleut, um dann in Afghanistan dieses Bekenntnis als Lippenbekenntnis zu enthüllen. Dies könnte jetzt einmal mehr geschehen. Denn wieder ist das Wörtchen "wenn" strategisch eingebaut. Der Rückzug soll schließlich nur beginnen, "wenn es die Lage erlaubt". Und was geschieht, wenn es die Lage nicht erlaubt? Wenn 2014 das totale Chaos droht? Soll dann der Kriegsbeschluss wieder erneuert werden? Man kann diese Frage unbeantwortet lassen, wie dies bei Grünen geschieht, indem sie sich in die parlamentarische Enthaltung flüchten. Zu Beginn der Kriegsphase hatten sie dem Einsatz zugestimmt, um ihrem Außenminister Joschka Fischer das Talent zum Friedensengel anzudichten. Nichts anderes tut die FDP jetzt mit Guido Westerwelle.