Die SPD ist zurück und mit ihr Olaf Scholz. Die Sozialdemokraten und ihr Spitzenkandidat sind die Gewinner der Bundestagswahl 2021. Mit 25,7 Prozent der Zweitstimmen stellen sie im kommenden Bundestag die größte Fraktion. Aber werden sie als solche am Ende auch den Kanzler stellen? Bis auf wenige Aussagen war das in der Geschichte der Bundesrepublik Usus. Entsprechend selbstbewusst präsentierten sich Scholz und seine Genossinnen und Genossen seit dem Wahlabend. Die Wähler hätten ihm den Auftrag gegeben, sich um eine Regierung zu "bemühen", interpretierte der frühere Hamburger Bürgermeister das Wahlergebnis für sich. Eine Forsa-Umfrage von Montag spricht für Scholz. 56 Prozent der Befragten sprechen sich für ihn als Bundeskanzler aus, nur elf Prozent für CDU-Konkurrent Laschet.
Ist die Wahl Olaf Scholz' zum Bundeskanzler also nur noch eine Formalie? Nein. Der siegreiche SPD-Kandidat muss auf dem Weg ins Kanzleramt noch einige Hürden überwinden.
Wie kann Olaf Scholz Kanzler werden?
Er muss eine Mehrheit im Bundestag hinter sich bekommen. Klingt einfach, könnte aber kompliziert werden. Denn anders als 1998, als das der SPD zuletzt gelang, mit Gerhard Schröder den Regierungschef zu stellen, braucht die Partei nicht nur die Grünen, sondern auch die FDP, um zu regieren. Und beide Parteien haben nach dem Wahlergebnis allen Grund, selbstbewusst und mit einem Bündel an Forderungen in mögliche Verhandlungen zu gehen. Sie könnten Olaf Scholz und der SPD das Leben schwer machen.
Kampf ums Direktmandat: Diese prominenten Politiker haben gewonnen – und diese verloren

Bereits jetzt suchen Grüne und Liberale nach Gemeinsamkeiten, um einem künftigen Regierungspartner Bedingungen zu diktieren und der künftigen Politik ihren Stempel aufzudrücken. Zusammen würden sie in einem Dreierbündnis, ganz gleich ob mit der SPD oder der Union, mehr Abgeordnete stellen als der jeweilige große Partner. Ob es zu einer Ampelkoalition von SPD, FDP und Grünen kommt, liegt damit nicht in erster Linie in Scholz' Händen. Er wird Zugeständnisse machen müssen, ohne damit den wieder erstarkten linken Flügel in der SPD zu verprellen.
Zwischen den Sozialdemokraten und den Grünen scheinen die inhaltlichen Differenzen überbrückbar. Es dürfte vor allem darum gehen, Christian Lindner und seine Liberalen von einer Ampel zu überzeugen. Eigentlich ist es die Zeit für rote Linien; Stichwort: Mindestlohnerhöhung. Doch davon wollte man am Montag im Willy-Brandt-Haus nichts wissen. Man spricht nicht über Schnittmengen am Tag nach der Wahl, nicht über Unverhandelbares. "Das machen wir mit den Freunden, mit denen wir regieren wollen", betonte Scholz.
Die Frage wird sein: Bei welchen Themen können Scholz und die SPD auf die FDP zugehen? Steuererhöhungen oder gar eine Vermögenssteuer haben die Liberalen beispielsweise als eines ihrer No-Gos definiert. Der Pragmatiker Scholz muss in solchen Fragen möglicherweise entgegenkommen – aber eben nur so weit, dass er den Rückhalt seiner Partei und Fraktion nicht verliert. Es drohen etliche Spagate, bei allen Ampel-Parteien.
Alle drei potenziellen Partner eint jedoch, dass sie viele Ziele teilen: die ökologische Modernisierung des Landes zum Beispiel. "Wenn drei Parteien, die den Fortschritt am Beginn der 20er Jahre im Blick haben, zusammenarbeiten, kann das etwas Gutes werden, selbst wenn sie dafür unterschiedliche Ausgangslagen haben", sagte Olaf Scholz – wohl wissend, dass es für den Weg zum Guten unterschiedliche Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP gibt.
Was bietet Olaf Scholz FDP und Grünen?
Scholz wird seinen möglichen Koalitionspartnern Zugeständnisse machen müssen und dürfte dabei mehr Beinfreiheit haben als CDU-Chef Armin Laschet. Die SPD weiß, dass der Wahlerfolg ohne Olaf Scholz wohl nicht möglich gewesen wäre, das gibt ihm Handlungsspielraum. Der Spitzenkandidat hingegen weiß, wie schnell seine Partei auch mit Liebesentzug reagieren kann, wenn allzu viel des neuen alten sozialdemokratischen Markenkerns in Koalitionsverhandlungen geopfert wird.

Sehen Sie im Video: "Grün und gelb sind die Farben der Zukunft" – stern-Experte erklärt, was die Wahl für Deutschlands Zukunft bedeutet.
Es könnte am Ende auch an Posten hängen, ob eine Ampelkoalition zustande kommt. Das Finanzministerium für Christian Lindner und ein starkes Klimaschutzministerium für die Grünen wären sicherlich Kröten, die die SPD schlucken müsste. Sie könnte dafür viele ihrer sozialpolitischen Projekte umsetzen. Wie das Ganze finanziert wird? Das dürfte eines der großen Konfliktthemen werden.
Scholz' Vorteile für die möglichen Gespräche mit FDP und Grünen: Er ist ein erfahrener Verhandler, er kennt sich mit den Finanzen des Staates bestens aus – und er hat ein Ziel für das angestrebte Bündnis: "Eine Regierung, die sich gebildet hat, muss so miteinander regieren, dass sie sich zutraut, wiedergewählt zu werden."
Dazu bemühte er am Montag auch den Rückblick auf die "erfolgreichen sozialliberalen Regierungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt" (1969 bis 1982) sowie das "erfolgreiche rot-grüne Bündnis unter Gerhard Schröder" (1998 bis 2005). Scholz will diesen ein weiteres Kapitel hinzufügen: eine "sozial-ökologisch-liberale" Koalition. Und auch die Parteilinke weiß, dass es "SPD pur" bei dieser Ausgangslage nicht geben kann, ließ Parteichef Norbert-Walter Borjans zuletzt durchblicken. Das Abfinden des linken Parteiflügels mit den politischen Realitäten ist vielleicht der größte Vorteil für Olaf Scholz auf seinem Weg ins Kanzleramt.