Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Vorlage geliefert: Auf dem Parteitag in Nürnberg brachte er die Sozialdemokraten geschlossen hinter sich, seine Anti-Terror-Politik und die rot-grüne Koalition. Ob den Grünen eine auch nur annähernd ähnliche Demonstration der Geschlossenheit und Loyalität zum Koalitionspartner gelingt, wird der Parteitag in Rostock am Wochenende zeigen. Die Parteispitze der Grünen rief die Basis auf, die Regierung nicht aufs Spiel zu setzen.
»Wir haben kein worst-case-Szenario«
Er wolle die Arbeit von Rot-Grün fortsetzen, bekräftigte Schröder in Nürnberg. Er äußerte aber auch die Erwartung, dass die Grünen in Rostock Klarheit schaffen, ob sie hinter dem Bundeswehreinsatz gegen den internationalen Terrorismus stünden. Bei den Grünen selbst gibt man sich optimistisch. Er fahre mit einem guten Gefühl nach Rostock, sagte Parteichef Fritz Kuhn. Geschäftsführer Reinhard Bütikofer beteuerte: »Wir haben kein worst-case-Szenario.«
Für Schröder und die SPD ist der Fortbestand der Koalition unmittelbar an die Zustimmung der Grünen zur militärischen Beteiligung gekoppelt. Aus diesem Grund hatte der Kanzler vor einer Woche die Entscheidung über den Bundeswehreinsatz im Bundestag mit der Vertrauensfrage verbunden und die Grünen damit in Gewissensnöte getrieben. Viele an der Grünen Basis, für die unter anderen der Bundestagabgeordnete Christian Ströbele spricht, finden, dass die Gewissensentscheidung über Krieg und Frieden nicht über das sachfremde Bekenntnis zur Koalition gelöst werden sollte.
»Nein« bedeute das Aus für die Koalition
Im Leitantrag der Grünen Parteispitze zu den außenpolitischen Konsequenzen des 11. September gebe es »kein Junktim«, das den Delegierten ein »Wenn-Dann« oder ein »Ihr müsst..., damit ihr...« abnötige, betonte Bütikofer. Gleichwohl hatte Parteichefin Claudia Roth am Wochenanfang gewarnt, ein Nein zum Einsatz bedeute das Aus für die Koalition. Und auch der Leitantrag stellt den Zusammenhang zwischen beiden Fragen her. Darin wird zum einen ein Bekenntnis zur rot-grünen Koalition abgelegt, zum anderen akzeptiert, dass die Mehrheit der grünen Abgeordneten im Bundestag dem Bundeswehreinsatz zugestimmt hat.
Die Integration der Strömungen soll offenbar über das Wörtchen »akzeptieren« laufen, welches die innere Distanz vieler Grüner zum Einsatz militärischer Gewalt widerspiegelt. »Die Grünen bleiben militärkritisch«, unterstreicht denn auch Bütikofer und fügt als Seitenhieb auf den Koalitionspartner hinzu, es sei die unverzichtbare Rolle der alternativen Partei, »klar für Positionen einzutreten, die beim SPD-Parteitag nicht einmal mehr zur Abstimmung gestellt wurden«.
Indem die Grünen unterhalb der Schwelle offener verbaler Zustimmung bleiben, versagen sie auch ihrem Außenminister Joschka Fischer die klare Unterstützung für seine Politik. Der allerdings habe, so Bütikofer, mit dem Antrag und der Formulierung kein Problem. Fischer habe dem Vorstand ausrichten lassen, dass er das Papier für gut halte, berichtete der Geschäftsführer. Den Delegierten rief er in Erinnerung, es gebe ein Profil grüner Außenpolitik, für das zu kämpfen es sich lohne und das im wesentlichen von Joschka Fischer personifiziert werde.
Auf die Integrationskraft seines Vizekanzlers, von der Grünen Basis bisweilen schon sehr entrückt, hofft auch Schröder, wenn es um die Koalition geht. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering meint, wie für Schröder im Bundestag stelle sich für Fischer bei der Bundesdelegiertenversammlung die Vertrauensfrage. Der Außenminister selbst ließ die Basis per Interview wissen, es könne nicht sein, dass sie in den Gemeinden Realpolitik machten und in internationalen Fragen ihren Außenminister hängen ließen. Er brauche vom Parteitag eine klare Bestätigung des Bundeswehr-Mandats.
Alle Ja-Nein-Kombinationen denkbar
Mögliche schwerwiegende Konsequenzen der Parteitagsentscheidung versinken vorerst im Verfahrensnebel. Den rund 800 Delegierten liegen laut Bütikofer neben dem Leitantrag bis zu 35 Anträge einzelner Landes- und Kreisverbände vor. Zunächst müssen die Teilnehmer darüber entscheiden, auf der Basis welchen Antrags sie überhaupt miteinander reden wollen. Alle Ja-Nein-Kombinationen zum Bundeswehreinsatz und zur Koalition sind dabei denkbar. Ist darüber erst einmal entschieden, können ganze Textpassagen per Änderungsantrag noch ausgetauscht werden. Eines wird man den Grünen dabei aber nicht vorwerfen können: dass sie wie die SPD zum Kanzler-Wahlverein verkommen wären.