Spitzenkandidatur für Europawahl Carola Rackete – der Coup der Linken

Carola Rackete
Carola Rackete 
© Oliver Berg / DPA
Bekannt wurde sie als unerschrockene Seenotretterin, nun soll die Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete für "Die Linke" in den Europawahlkampf ziehen. Kann sie der zerstrittenen Partei neues Leben einhauchen?

Es ist eine Kandidatur mit gewissem Knalleffekt – und durchaus als Signal zu verstehen: Die Klima- und Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete soll im kommenden Jahr als Spitzenkandidatin der Linken bei der Europawahl antreten.

Die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan bestätigten am Montag entsprechende Medienberichte, wonach Rackete auf Platz 2 der Kandidatenliste aufgestellt werden soll – und somit gute Chancen auf einen Einzug ins EU-Parlament hätte. Allerdings müssen die Listenvorschläge der Linkenspitze noch von einem Parteitag Ende November abgesegnet werden. 

Der Schritt ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Co-Chef Schirdewan – der Platz 1 auf der Kandidatenliste einnehmen soll – holt sich mit Rackete eine parteilose Spitzenkandidatin an seine Seite. Die 35-Jährige wurde zwar als Seenotretterin bekannt, ist derzeit aber vor allem in der Klimabewegung aktiv. Ihre Kandidatur könnte die Linkspartei in entsprechenden Kreisen anschlussfähiger machen. Co-Chefin Wissler machte aus ihrem Kalkül jedenfalls kein Geheimnis: "Wir wollen heute deutlich machen: Die Linke öffnet sich für engagierte, für Aktive aus den sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft", sagte sie bei der Vorstellung.

Folglich dürfte mit der Aufstellung von Rackete auch die Botschaft verbunden sein, sich von anderen Kreisen abgrenzen zu wollen. Namentlich: Von Sahra Wagenknecht, die immer wieder die liberale Flüchtlings- und Klimapolitik ihrer Partei kritisiert hatte – und der Linken mit der möglichen Gründung einer eigenen Partei Konkurrenz machen könnte. 

Carola Rackete: "Genau diese Analyse teile ich mit der Linkspartei"

Bekannt wurde Rackete als Kapitänin der "Sea Watch 3", einem Seenotrettungsschiff, das sie im Juni 2019 nach wochenlangem Warten und trotz eines Verbots in den Hafen von Lampedusa lenkte, nachdem sie 53 Menschen vor der Küste Libyens aus dem Mittelmeer gerettet hatte. Der damalige Innenminister Matteo Salvini wollte sie einsperren lassen, beschimpfte sie etwa als "reiche und verwöhnte deutsche Kommunistin". Rackete kam für kurze Zeit in Hausarrest, ein Strafverfahren gegen sie wurde 2021 eingestellt.

Danach wurde es zwar ruhiger um "Die besonnene Widerständlerin" ("Die Zeit") und "Die leise Rebellin" ("Der Spiegel"), die mit ihrer Rettungsaktion eine Debatte über die europäische Flüchtlingspolitik entfacht hatte, aber keinesfalls still. Immer wieder meldete sich die Naturschutzökologin in Gastbeiträgen und Interviews zu Wort – und ließ politische Ambitionen schon durchblicken.

So forderte die parteilose Aktivistin schon zur Bundestagswahl 2021 recht unumwunden: "Die Linke wählen für Klimagerechtigkeit". Warum, buchstabierte sie einem Gastbeitrag für die linke Tageszeitung "Neues Deutschland" aus. Die zwei zentralen Sätze: "Natürlich sind Umwelt- und Klimaschutz die klassischen Kernthemen der Grünen. Allerdings sind die ökologischen Krisen (…) das Resultat ungleicher sozialer Machtverhältnisse." Und nur die Linkspartei, so der Subtext, verstehe soziale Gerechtigkeit als Kern von Umwelt- und Klimaschutz.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Welchen politischen Projekten sich Rackete, die sich als Teil der "Klimagerechtigkeitsbewegung" versteht, widmen könnte, deutete sie vergangenen März an: In einem Gespräch mit der "taz" äußerte sie Bedauern, dass die Klimabewegung – gemeint waren auch "Fridays for Future" und "Die letzte Generation" – zu wenig erreichen würde. "Wir müssten es schaffen, wieder mehr Beteiligung zu generieren", sagte Rackete. "Dafür brauchen wir aber eine breitere gesellschaftliche Verankerung." Wiederholt verband sie dabei den Kampf ums Klima mit dem Kampf um Gerechtigkeit. Es müssten "Schnittstellen" gefunden werden, wo "Klimaschutz und soziale Themen" zusammenpassten. "Wenn wir konkrete sozial-ökologische Projekte unterstützen, können wir mehr Menschen motivieren, mitzumachen."

Sollte Rackete im November als Kandidatin der Linkspartei aufgestellt werden, hätte sie – Stand jetzt – gute Chancen, mit Co-Chef Schirdewan ins Parlament einzuziehen. Die Linkspartei ist derzeit mit fünf Abgeordneten im EU-Parlament vertreten (darunter auch Schirdewan). Bei der vergangenen Europawahl 2019 landete sie bei 5,5 Prozent, in bundesweiten Umfragen rangiert die Linke aktuell zwischen 4 und 5 Prozent. Damit gelten die ersten beiden Listenplätze als aussichtsreich: Bei der Europawahl gilt eine Prozenthürde von 3,5 Prozent, um ins Parlament einzuziehen.

Beim Auftritt am Montag erläuterte Rackete ihre Motive, für einen Listenplatz der Linkspartei anzutreten. Nur wenn sozial gerechte Verhältnisse geschaffen würden, könnten die ökologische Krisen gelöst werden. "Genau diese Analyse teile ich mit der Linkspartei", sagte sie. Als Aktivistin habe sie festgestellt, dass an an einer "starken Unterstützung der parlamentarischen Linke" fehle, beispielsweise bei der Vernetzung in Institutionen oder um mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Das wolle sie ändern. 

Eine wichtige Grundlage ihrer Entscheidung sei allerdings auch gewesen, dass die Parteispitze mit ihrem "Plan 2025" den Richtungsstreit in der Linkspartei klären wolle und beginne, sich für die kommende Bundestagswahl neu aufzustellen. Jetzt sei die Chance für einen "klärenden Prozess", sagte Rackete.

Das Strategiepapier, das Wissing und Schirdewan Mitte Juni vorgelegt hatten, soll der strauchelnden Linkspartei zum "Comeback" verhelfen. Der Plan umfasst elf Punkte – beispielsweise ein stärkerer Fokus auf die Sozial- und Klimapolitik – und lässt sich auch als deutliche Abgrenzung zu Wagenknecht lesen. Schon in Punkt 1 heißt es: " Ein klares Bekenntnis zur Linken ist Voraussetzung des Comebacks." Wagenknecht hatte das zuletzt demonstrativ vermieden.

Im Gegensatz zu Rackete. Auf Twitter erklärte sie zu ihrer Kandidatur, dass sich das "sozial-ökologische Desaster" aus dem Parlament allein nicht beheben lasse – ohne eine "stabile linke Partei" aber auch nicht. "Deswegen müssen wir Die Linke jetzt #GemeinsamNeu machen." 

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