CDU-Parteitag Frau Merkels ideologischer Supermarkt

Wenn sie eines beherrscht, dann ist es die Kunst des Moderierens: Angela Merkel hat in ihrer Eröffnungsrede des CDU-Parteitags in Hannover jeder Strömung ihrer Partei ein paar Leckerlis zugeworfen. Und alle kauten zufrieden darauf herum.

Der Slogan, den die CDU für ihren Parteitag in Hannover gewählt hat, lautet "Die Mitte". In riesigen Lettern prangen die beiden Worte hinter dem Rednerpult. Links daneben das grafische Signet: Ein Pfeil, zusammengesetzt aus einem roten, einem schwarzen und einem gelbgoldenen Streifen. Es sind die Farben der deutschen Flagge. Sie lassen sich aber auch als Symbole für die Strömungen der CDU interpretieren: Schwarz für die Konservativen, Rot für die Christlich-sozialen, Goldgelb für die Liberalen. Die farbigen Streifen werden grafisch zusammengezwungen. Hin zur Mitte.

So ist keine inhaltliche Profilierung möglich

36 Mal hat die CDU-Vorsitzende Angela Merkel in der schriftlichen Fassung ihrer Eröffnungsrede des Hannoveraner Parteitags das Wort "Mitte" benutzt. 31 Mal das Wort "ich". Also belegt auch die Statistik die beiden politischen Leitmotive der Rede. Es geht um eine Politik für möglichst breite Bevölkerungsschichten. Und es geht um Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, die Kanzlerin, die alles überragende Sympathiefigur der Union. Diese Strategie macht eine scharfe inhaltliche Profilierung unmöglich - und im Übrigen nicht wünschenswert.

Also macht Merkel jeder Strömung ihrer Partei Identifikationsangebote. Im Namen der Christlich-sozialen drischt sie auf die hohen Managergehälter ein. Es müsse am Standort Deutschland gerecht zugehen. "Sonst fliegt uns der ganze Laden auseinander." Kurz darauf klagt sie das Anrecht der kleinen Leute ein, "für Arbeit angemessen bezahlt zu werden." Das kommt bei den sozial Bewegten unter den Delegierten an, auch wenn Merkel nicht sagt, wie sie den Gehaltsexzessen der Managerkaste beikommen will.

Gegen aktive Sterbehilfe

Im Namen der Wertkonservativen beschäftigt sich Merkel mit dem Schutz des Lebens. Das Klonen von Menschen sei für die CDU tabu. Für die Forschung mit embryonalen Stammzellen müssten weiterhin strenge Regelungen gelten. Aktive Sterbehilfe lehnt die Parteichefin rundweg ab. "Dass diese Gesellschaft [für aktive Sterbehilfe, Red.] sich auch noch Dignitas, also Würde, nennt, ist der Gipfel der Unverschämtheit", ruft Merkel in die Hannoveraner Messehalle. Starker Applaus.

Selbst den Wirtschaftsliberalen, seit Beginn der großen Koalition in der Defensive, wirft Merkel ein paar Leckerlis zu. Die Parteichefin plädiert für "kapitalgedeckte Elemente in der Pflege und langfristig auch in der Gesundheit" - ein Hinweis darauf, dass sie die Idee der Kopfpauschale noch lange nicht aufgegeben hat. Sie fordert indirekt einen Abbau des Kündigungsschutzes und stellt weitere Senkungen der Lohnzusatzkosten in Aussicht. "Vorfahrt für Arbeit" sei der Handlungsauftrag der Union.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Eine Watsche für Steinmeier

Die Delegierten können sich aus Merkels ideologischen Supermarkt aussuchen, was ihnen gefällt. Eine Tüte Soziales, 200 Gramm Werte und was Liberales am Stück, bitteschön. Außerdem bekommen natürlich alle gratis eine Kiste Gemeinheiten an die Adresse der SPD. Ohne ihn direkt zu nennen, knöpft sich Merkel ihren Vizekanzler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vor.

Was der ehemalige SPD-Vorsitzende Willy Brandt wohl von der Frage gehalten hätte, ob es für das Land besser sei, sich offen oder still für Menschenrechte einzusetzen? "Ich glaube, er hätte den Kopf über eine solche Frage geschüttelt", sagt Merkel. Außenpolitik und Menschenrechtspolitik seien keine Gegensätze. Steinmeier, der Merkels Treffen mit Dalai Lama kritisiert hatte, darf sich abgewatscht fühlen - und die Delegierten können ihr Mütchen an "Sozen" kühlen.

Der Dank für die verbalen Gaben: Standing Ovations, mindestens fünf Minuten lang. Die CDU-Chefin nickt dem Publikum gnädig zu, faltet die Hände, winkt, lächelt. Die Radikalreformerin von Leipzig ist abgetreten, die Wohlfühl-Politikerin ist da. Und die Partei folgt ihr. Die Landtagswahlen in Hamburg, Niedersachsen und Hessen stehen vor der Tür. Ruhe ist erste Unionistenpflicht.