Union und SPD wollen sich bei ihrem Spitzentreffen der Koalition im Kanzleramt um einen Schulterschluss in wichtigen Streitfragen bemühen. Beide Seiten betonten vor der Sitzung, die wahrscheinlich bis in die Nacht dauern wird, den Willen zu Kompromissen. Im Folgenden ein Überblick über die größten Knackpunkte und die Positionen der Regierungspartner:
Post-Mindestlohn
In diesem Punkt könnte es zumindest deutliche Fortschritte geben. Der von der Deutschen Post dominierte Arbeitgeberverband Postdienste hatte sich mit der Gewerkschaft Verdi auf einen Mindestlohn für Briefzusteller zwischen acht und 9,80 Euro geeinigt. Die Union bezweifelt jedoch, dass dieser Tarifvertrag mindestens 50 Prozent der Beschäftigten der Branche erfasst. Dies betonte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel unmittelbar vor dem Treffen erneut. Die 50-Prozent-Klausel gilt in der Koalition als Bedingung dafür, um den Mindestlohn zum 1. Januar als allgemeinverbindlich zu erklären. Merkel charakterisierte die Ausgangslage mit den Worten: "Ich sehe das Problem noch nicht gelöst, aber wir werden konstruktiv darüber beraten." Aus Regierungskreisen hieß es über das Wochenende, man wolle die Regelung durch zusätzliche Klarstellungen auf hauptberufliche Briefträger einschränken. Ein Zeitungsausträger oder ein Taxifahrer, die gelegentlich Briefe mitnehmen, sollten nicht unter den Mindestlohn fallen.
Arbeitslosengeld I
Sowohl Union wie auch die SPD wollen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere von 18 auf 24 Monate verlängern. Bundeskanzlerin Merkel machte vor dem Treffen erneut deutlich, dass die Unionsseite auf einer Kostenneutralität einer Neuregelung bestehen wolle. Dennoch sehe sie auch in diesem Rahmen Möglichkeiten, einen Kompromiss zu erreichen. Die SPD lehnt es ab, eine Verlängerung der Zahldauer durch Kürzungen bei jüngeren Arbeitslosen zu finanzieren, wie dies die CDU - allen voran der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers - will. Laut SPD-Chef Kurt Beck gibt es eine ganze Reihe von Einsparmöglichkeiten. So nannte er als Möglichkeit, den vollen Bezug des Arbeitslosengeldes von längeren Vorversicherungszeiten abhängig zu machen. Ein solches Modell brachte auch CSU-Chef Erwin Huber am Wochenende ins Spiel. Ein Anspruch auf das volle Arbeitslosengeld würde dann nicht nach 24 Monaten entstehen, sondern eventuell erst ab 30 oder 36 Monaten. Eine weitere von Huber vorgeschlagene Möglichkeit sieht vor, die Übergangszahlung beim Wechsel vom Arbeitslosengeld I in das Arbeitslosengeld II zu streichen. Auch eine Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln wird diskutiert.
Arbeitslosenbeitrag
Die Koalitionsspitzen wollen sich bei ihrem Treffen darauf verständigen, in welcher Höhe der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 4,2 Prozent nächstes Jahr sinken soll. Die SPD war vor einigen Wochen auf die Forderung der Union eingeschwenkt, den Satz statt wie geplant auf 3,9 auf 3,5 Prozent zu reduzieren. Dazu sollten aber neue Berechnungen abgewartet werden. Der Grund für die deutlichere Senkung sind die sprudelnden Einnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die SPD hat die Senkung des Beitrags auf 3,5 Prozent aber an eine Einigung bei der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I geknüpft.
Bahnprivatisierung
Bei ihrem Hamburger Parteitag hat die SPD das von der Union strikt abgelehnte Volksaktien-Modell zur Bedingung für die Teilprivatisierung der Bahn gemacht. Die Bahn-Reform steht seither auf der Kippe. Als Weg aus der Misere hat die Regierung ein neues Privatisierungsmodell vorgeschlagen, das die Gründung einer Holding vorsieht. Der Personen- und Güterverkehr sowie die Speditionstochter Schenker sollen dabei zusammengefasst und bis zu 49 Prozent privatisiert werden. Das Schienennetz und die übrige Infrastruktur blieben komplett im Bundes-Besitz. Seitens der Regierung hieß es zuletzt, eine endgültige Entscheidung über eine Variante zur Teilprivatisierung der Bahn werde wohl erst im Dezember fallen. Merkel und Beck signalisierten Interesse, das Modell zumindest eingehend prüfen zu wollen. "Ich denke, dass dort eine Chance liegen würde", sagte Merkel, betonte aber zugleich, dass es zunächst einer Bewertung durch die Experten der Ministerien bedürfe.
Arbeitsmarkt
Auch der Arbeitsmarkt soll bei der Spitzenrunde zur Sprache kommen. Arbeitsminister Franz Müntefering hat ein Gesamtkonzept zur Neuordnung des Niedriglohnsektors erarbeitet. Rechtzeitig zum Wahljahr 2009 will er einen integrierten Erwerbstätigen- und Kinderzuschuss einführen, der Hunderttausende Menschen vor dem Abrutschen in Hartz IV bewahren soll. Das Konzept enthält auch eine Anpassung des Wohngeldes und die Neuregelung der Zuverdienstgrenzen.