Die Kanzlerin war für ihre Verhältnisse energisch. Bei "Anne Will" am Sonntagabend machte sie eine klare Front auf – zwischen ihr und den Ministerpräsident:innen. Dass das Kanzleramt und die Regierungszentralen der Bundesländer in Corona-Fragen nicht an einem Strang ziehen, ist in den vergangenen Monaten offensichtlich geworden. Ganz besonders aber, als Angela Merkel vergangene Woche zu Kreuze kriechen und sich öffentlich für die nicht durchdachte Osterruhe entschuldigen musste. Sie nahm dabei die Schuld – man möchte sagen, ganz wie die fürsorgliche "Mutti" für ihre Rasselbande – allein auf sich. Der Verdacht liegt aber nahe, dass Merkel mit dem Osterruhe-Vorschlag vor allem die letzte Bund-Länder-Runde retten wollte. "So können wir nicht an die Öffentlichkeit gehen." Dieser Satz von ihr ist verbrieft. Ausgesprochen, als der jüngste Corona-Gipfel schlicht zu scheitern drohte.
Das Corona-Krisenmanagement ist spätestens seit Merkels Bitte um Verzeihung über jedes Stadium hinaus, in dem man der einen oder anderen Seite beispringen könnte. Zu viele Fehler, Ungereimtheiten, Sturheiten, Lippenbekenntnisse hat es gegeben. Zu oft wurden Beschlüsse, gerade erst getroffen, umgehend kritisiert, aufgeweicht, verschärft oder ignoriert. Auch jetzt ist das wieder so: So mancher Landeschef verhält sich, als gäbe es nach dem Einkassieren der vermaledeiten Osterruhe gar keine Corona-Regeln mehr – was natürlich nicht so ist. Es gilt weiter die "Notbremse", also automatischer Lockdown bei zu hohen Inzidenz-Zahlen. Trotzdem glaubt – nur ein Beispiel – Tobias Hans, CDU-Mann und Ministerpräsident des Saarlandes, nach dem Vorbild Tübingens – zuvor als Idee eines Grünen lange geschmäht – öffnen zu können. Das Saarland liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu besonders stark betroffenen Regionen Frankreichs, hat wegen des Pendlerverkehrs über die Grenze eigens vom (noch) knappen Impfstoff ein zusätzliches Kontingent bekommen, und die Infektionszahlen steigen rasant an. Aber bitte ...
Prügelknabe Föderalismus - zu Recht?
Längst ist der Föderalismus zum Prügelknaben geworden. Nicht nur von enttäuschten Bürger:innen, die sich nach einer Stimme sehnen, die klar und überall die Richtung vorgibt. Auch ein Mann wie CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus spricht sich dafür aus, das föderale Staatsgebilde grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Dabei gibt es gute Gründe für starke Bundesländer. Zum einen haben wir historisch mit zentralistischen Regierungen in Berlin wahrlich keine guten Erfahrungen gemacht. Zum anderen hat das föderale System gerade in der Problemlösung und Versorgung vor Ort eigentlich unbestreitbare Stärken, weil nicht alles von einer anonymen Stelle erkannt, organisiert und durchgeführt werden muss.
Eigentlich. Denn alles steht und fällt mit den handelnden Personen. Und da erweist es sich als fatal, dass die Pandemie das Land just zu einem Zeitpunkt trifft, da sich die Karriere der Langzeitkanzlerin Merkel dem Ende zuneigt. Als "lame duck" ist sie angreifbar und wird attackiert. Schon seit Beginn der Pandemie läuft der Hahnenkampf zwischen Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU) um die Kanzlerkandidatur in der Union. Und mit fortschreitender Zeit und fortschreitenden Wahlkämpfen im Superwahljahr kochen auch die anderen Regierungschefs mehr und mehr eigene Süppchen, um sich und ihre Partei als die bessere Wahl hinzustellen. Man muss dabei nicht einmal jemandem den Willen absprechen, letztlich das Beste zu wollen, doch am Ende steht man mit diesem Verhalten eben da, wo wir jetzt stehen: ein Flickenteppich an Regelungen, ein fast gescheiterter Gipfel, eine Kanzlerin, die sich entschuldigen muss, ein Staatsgebilde in der Diskussion. Dabei hätte man mit der Pandemie nun wahrlich genug anderes zu tun.
Angela Merkel: Schaue mir das nicht noch 14 Tage an
"It's the singer, not the song", heißt es in einem Stück der Rolling Stones. Bedeutet übertragen auf die aktuelle Politik: Es liegt am Gebaren der Landesfürst:innen, nicht am Föderalismus selbst. Niemand hindert die Ministerpräsident:innen daran, der Lage angemessen verantwortlich zu handeln. "Wir können so nicht weitermachen", hat CDU-Chef Armin Laschet vergangene Woche im Düsseldorfer Landtag gesagt. Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Allerdings: Der zweite Schritt muss folgen. Die Kanzlerin, das hat sie bei "Anne Will" deutlich gemacht, glaubt noch nicht daran. Sie wolle sich das alles nicht noch mal 14 Tage anschauen, hat sie den Ländern angedroht. Derweil breitet sich Corona weiter aus.