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Bund-Länder-Bullshit-Bingo Der Impfgipfel der Unverschämtheit

Jens Spahn
Die allgemeine Überforderung von Jens Spahn hat in den vergangenen Monaten groteske Züge angenommen
© Kay Nietfeld / DPA
Jugendliche können sich mit Aufhebung der Impfpriorisierung bald um einen Impftermin bemühen – wie alle anderen und mit Betonung auf "bemühen", denn die meisten werden leer ausgehen. Fest steht: Die deutsche Impfkampagne bleibt ein Desaster.

Auch wenn Markus Söder in der anschließenden Pressekonferenz ungefähr hundertmal betont hat, dass es in Deutschland gerade "jeden Tag besser" werde: Die wiederkehrenden Beratungen von Bund und Ländern in dieser Pandemie kann der bayrische Ministerpräsident damit nicht gemeint haben. Von seiner eigenen Corona-Politik mal ganz zu schweigen.

Vorrangig scheint es beim Großkopferten-Treffen vielen Teilnehmer:innen offenbar ohnehin darum gegangen zu sein, den Gesundheitsminister für den mangelnden Nachschub an verfügbarem Impfstoff in den Senkel zu stellen. Und so offenkundig es auch sein mag, dass die allgemeine Überforderung von Jens Spahn in den vergangenen Monaten groteske Züge angenommen hat, hält es seine Länderkollegen nicht davon ab, ebenfalls bloß Nebelkerzen im Wahlkampf zu zünden.

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Der Impfstoff reicht gerade einmal für Zweitimpfungen

Denn nichts anderes ist der Beschluss, dass sich 12- bis 15-Jährige mit Aufhebung der Impfpriorisierung ab dem 7. Juni nun ebenfalls um einen Impftermin bemühen können – vorausgesetzt die Europäische Arzneimittelbehörde EMA lässt den Impfstoff von Biontech/Pfizer für sie zu.

Die Betonung liegt schließlich auf "bemühen": Ich kenne jede Menge Menschen aus Prio-Gruppe 3, die derzeit mit wachsender Verzweiflung auf einen Impftermin warten. Allgemein soll Impfstoff hierzulande im Moment so knapp sein, dass er gerade einmal für Zweitimpfungen reicht. Kurz gesagt: Die deutsche Impfkampagne bleibt ein Desaster.

Wenn Spahn also tönt, 6,4 Millionen Biontech-Dosen für Kinder zu reservieren, fragt man sich einerseits mit bitterem Schmunzeln, wo er das gute Zeug denn hernehmen will. Andererseits fragt man sich bei Spahn inzwischen eigentlich gar nichts mehr, seit er vor wenigen Tagen den Anstieg der Corona-Zahlen im vergangenen Sommer auf Verwandtschaftsbesuche in der Türkei und auf dem Balkan zurückgeführt hat – ein selbst für seine Verhältnisse besonders erbärmlicher Versuch, die eigenen Verfehlungen zu rechtfertigen.

Aber auch abgesehen von nicht vorhandenen Kapazitäten bleibt die vorrangige Impfung der Jüngeren fragwürdig: Ohne allgemeine Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission werden wohl die meisten Eltern kein Impfangebot für ihre Kinder wahrnehmen. Denn relativ eindeutig ist bislang nur die Einschätzung der allermeisten Experten, dass es in Sachen Nutzen und Risiken noch reichlich Klärungsbedarf gibt.

Die Debatte weckt vor allem falsche Erwartungen

Und so ergibt die Öffnung der Impfung für ab 12-Jährige wenig Sinn, wenn sie nicht mit einer Priorisierung und einer Impfkampagne speziell für Jugendliche verbunden ist – was ja aber aus den oben genannten Gründen gar nicht möglich ist.

Stattdessen weckt die Debatte vor allem etwas, von dem die meisten Bürger in den vergangenen Monaten nach Bund-Länder-Beratungen bereits mehr als genug präsentiert bekamen: falsche Erwartungen. Die bekanntlich zu enttäuschten Hoffnungen führen.

Nein, unter den aktuellen Voraussetzungen war es schlicht der falsche Zeitpunkt für einen sogenannten Impfgipfel, die neue Runde im Bullshit-Bingo von Bund und Ländern war höchstens ein Impfgipfel der Unverschämtheit. Denn nachdem Kinder und Jugendliche in den letzten 15 Monaten ohnehin andauernd zu kurz gekommen sind, mutet es umso dreister an, auf den letzten Metern der Pandemie plötzlich mit ihnen Politik zu machen.

Und überhaupt: Es wird noch lange dauern, bis jeder geimpft werden kann, der dies auch will. Dass es in Deutschland gerade trotzdem "jeden Tag besser" wird, liegt demnach allein am umsichtigen Verhalten der Bürgerinnen und Bürger. Das ist das große Glück von Söder und seinen Kolleg:innen. Nur darauf verlassen sollten sie sich bis zur Bundestagswahl lieber nicht.

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