Energiegipfel Braucht Deutschland Atomkraftwerke?

Wird Deutschland nach dem Atomausstieg wirklich im Dunkeln liegen? Rund um den Energiegipfel im Kanzleramt schlagen Union und SPD eine alte Schlacht um die Laufzeit der Meiler - freilich unterhalb der großkoalitionären Eskalationsstufe.

"Gipfel" sind gerade en vogue in Berlin. Integrationsgipfel, Islamkonferenz, und jetzt der Energiegipfel, der zweite in Angela Merkels Amtszeit als Kanzlerin. Geladen hat die Regierungschefin mehrere Dutzend Vertreter aus Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft. Gesprochen werden soll über Konzepte zum Energiesparen ebenso wie über die internationale Energiepolitik. Am frühen Nachmittag geht's los, am späten will Merkel vor die Presse treten, um Ergebnisse zu verkünden.

Streit zwischen Koch und Gabriel

Spektakuläres war von dem Gipfel eigentlich nicht zu erwarten. Bewusst hatte das Kanzleramt versucht, wirklich strittige Themen von der Tagesordnung gehalten: Die Debatte über den Atomausstieg etwa, oder den Streit über die Höhe der Strompreise. Der Versucht missglückte. Dummerweise kochte kurz zuvor eine Debatte über genau diese Themen hoch. In der ARD-Talkshow "Christiansen" kokettierte der hessische Ministerpräsident Roland Koch offen mit einer Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke, Umweltminister Sigmar Gabriel wies Kochs Gelüste bei der gleichen Veranstaltung brüsk zurück.

Am Montag drangen Wirtschaftsminister Michael Glos von der CSU sowie mehrere CDU-Ministerpräsidenten darauf, nukleare Anlagen nicht voreilig vom Netz zu nehmen. Angesichts dieser anschwellenden Geräuschkulisse dürfte auch Merkel am Montagnachmittag nicht umhinkommen, sich zu dem Thema zu äußern. Dabei ist die Debatte weder neu noch ist damit zu rechnen, dass irgendjemand vor hat, sie angesichts der fragilen Stimmung in der Koalition wirklich zum Streitthema hochzujazzen. Es dürfte beim Geplänkel unterhalb der innerkoalitionären Eskalationsstufe bleiben.

Droht eine Versorgungslücke?

Im Kern geht es bei der Debatte um die Frage, ob Deutschland seinen Energiebedarf abdecken kann, wenn es Atomkraftwerke abschaltet. Die einen, vor allem auf Unionsseite, argumentieren, dass durch ein Abschalten, wie es im Koalitionsvertrrag vorgesehen ist, eine "Versorgungslücke" entstehen könnte, weil andere Energiequellen - und hier vor allem jene Versorger, die auf erneuerbare Energien setzen - noch nicht so weit seien, um den Ausfall ersetzen zu können. Deshalb, so das Argument, dürfe man sich in kein all zu enges Korsett zwängen, was den Zeitplan für das Abschalten der Werke betrifft. So forderte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. Ziel müsse eine sichere Versorgung zu bezahlbaren Preisen sein, sagte er in München. Deshalb wäre es "verantwortungslos, die Kernkraftwerke früher abzuschalten als notwendig", sagte er. Die erneuerbare Energie müsse ausgebaut werden, aber bis sie genug Strom produzieren könne, müsse Atomkraft die Lücke überbrücken, sagte Stoiber. Ähnlich äußerste sich Unions-Fraktionschef Volker Kauder, der aber sagte, dass am Koalitionsvertrag nicht gerüttelt werde.

"Wir haben uns auf den Ausstieg eingestellt"

Die SPD dagegen bestreitet die Existenz jener "Versorgungslücke." Für sie ist sie eine interessengesteuerte Mär, der Atomausstieg nicht verhandelbar. Unterstützung erhalten sie, wen wundert's, vom Bundesverband Erneuerbare Energie. Die Produzenten der erneuerbaren Energien versprechen, die Ausfälle, die durch das Zurückschrauben der Kernkraft entstehen, voll auffangen zu können. "Wir haben uns auf diesen Ausstieg eingestellt", sagte ein Verbandsvertreter in Berlin. "Wir können die ausbleibende Kernkraft problemlos substituieren."

Dazu, so die Versorger, sei lediglich nötig, dass sie auf verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen zurückgreifen könnten. Diese seien durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz der rot-grünen Vorgängerregierung gegeben. Daran dürfe nicht gerüttelt werden. Das Gesetz sieht Festpreise für mittels erneuerbarer Energien erzeugten Strom fest, um das wirtschaftliche Überleben der Firmen zu sichern. Allerdings werden diese Festpreise stufenweise gesenkt, um sie komplett dem Markt zu überlassen.

Versorger wollen "Kombi-Kraftwerk" einrichten

Um zu belegen, dass sie künftig in der Lage sein werden, den Energiebedarf auch in Stoßzeiten abzudecken, wollen die Firmen, die Strom aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen, ein "Kombi-Kraftwerk" aufbauen, das die verschiedenen Quellen so verbindet, dass sie sich gegenseitig ergänzen. Fallen etwa Windkraftwerke aus, weil es kein Wind gibt, könnte etwa bioenergetische Quellen genutzt werden. Ein derartig "virtuelles Kraftwerk" werde man - unabhängig von der Förderung - bald aufbauen, um zu belegen, dass regenerative Energien den Bedarf des Landes problemlos abdecken könnten.

Florian Güßgen mit AP