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Erhebung zu Politik und Internet Das Netz ist links

Kanzlerin Merkel ließ in zwei bisher unter Verschluss gehaltenen demoskopischen Studien die Welt der Internetaktivisten erforschen. Ergebnis: Die CDU hat bei ihnen schlechte Karten.
Von Hans-Martin Tillack

In der Netz-Community hat die CDU wenig zu melden. Das hat Kanzlerin Angela Merkel seit Kurzem auch amtlich. Denn seit Ende 2011 erforschten zwei Institute im Auftrag des Bundespresseamtes (BPA) das Milieu, aus dem die Piraten kommen: die Welt der Blogger und Online-Aktivisten. Beide Umfragen, die stern.de vorliegen, kommen zu dem Ergebnis, dass die "Netzaktiven" eher den linken Parteien zuneigen.

"Politisch Netzaktive und Politik in Deutschland" - unter diesem Titel erstellte zuletzt TNS Infratest für das BPA im April eine fast 200 Seiten umfassende Studie, die das Presseamt bisher unter Verschluss gehalten hatte. Bei den "Netzaktiven", so Infratest, sei eine "starke Ausrichtung auf das linke Parteienspektrum feststellbar". Das "bürgerliche Lager" sei mit 19 Prozent hingegen deutlich unterrepräsentiert.

Mein Rechercheblog

Als stern-Reporter in Berlin recherchiert und schreibt Hans-Martin Tillack über das, was jenseits der offiziellen Politinszenierung passiert. In seinem "Rechercheblog" erzählt er die Geschichten hinter den Geschichten.

Auf 12 bis 13 Prozent der Gesamtbevölkerung ab 18 Jahren schätzt Infratest die Zahl derjenigen, die sich an Online-Petitionen beteiligen, "bei Regierungs- oder Verwaltungsstellen online auf Missstände" hinweisen oder schon mal im Netz "politische Beiträge oder Kommentare in Foren gepostet" haben.

Sie sind zu 65 Prozent männlich, überdurchschnittlich gebildet - und es sind nicht mehr die Jüngsten. Vor allem die mittleren Jahrgänge, und da besonders die Kohorte der 50 bis 59-Jährigen, - also die 68er Generation - seien "überrepräsentiert", der "Anteil der 18 bis 29-Jährigen" dagegen "deutlich unterrepräsentiert". Grund: Junge Leute interessieren sich zwar für das Internet, aber kaum für Politik.

Beifall von der falschen Seite

Die gute Nachricht aus Sicht von Angela Merkel: Ihr Bürgerdialog im Internet Anfang des Jahres fand bei den Netzaktiven überwiegend Applaus. Doch diejenigen unter den 770 Befragten, die sich daran beteiligt hatten, waren vor allem Anhänger von Grünen, Linken und SPD.

Gemeinsam ist den Netzaktiven ein "starkes politisches Interesse" und ein vergleichsweise hohes Misstrauen in die etablierte Politik. Nur jeder sechste unter ihnen gab auf die Frage nach der Parteienpräferenz CDU und CSU an, 26 Prozent die SPD, 22 Prozent die Grünen und 16 Prozent die Piraten.

Kommentar von Infratest: "Ein erheblicher Teil der besonders unionsaffinen Bevölkerung in der Altersgruppe 60+ fehlt in unserer Grundgesamtheit, weil viele über 60-Jährige keinen Online-Zugang haben."

CDU-Wähler gucken fern

Das passt zu den Befunden einer Studie ("Vertraulich!") des Instituts für Demoskopie in Allensbach, die dieses bereits im Oktober 2011 in Merkels Presseamt abgeliefert hatte. Die Allensbacher Forscher zählen 10 Prozent der Bevölkerung "zu den Political Net Activists" - laut ihrer Studie vor allem unter 40-jährige Männer mit höherer Schulbildung, die "überdurchschnittlich zu den Grünen" tendieren, "unterdurchschnittlich dagegen zu den Unionsparteien".

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Laut Allensbach nutzen nur 0,1 Prozent der CDU/CSU-Anhänger Twitter regelmäßig zur Information, stolze 90,4 Prozent tun das nie. Bei den Grünen-Anhängerm schrumpft die Zahl der Twitter-Verächter auf immer noch beachtliche 81,1 Prozent. Wähler von CDU/CSU gucken dafür tendenziell länger fern - zu 35,1 Prozent etwa 2 Stunden am Tag, ein Viertel sogar drei Stunden.

Und auch laut Allensbach sind zwar junge Leute unter 30 - wenig überraschend - viel im Internet unterwegs, doch nicht mit dem Ziel, sich über Politik zu informieren.

Presseamt gegen Veröffentlichung aller Umfragen

In seiner aktuellen Ausgabe berichtet der stern, dass das Merkel unterstehende Bundespresseamt regelmäßig repräsentative Umfragen erheben lässt, die aus Sicht von Staatsrechtlern unzulässig sind, weil sie vorrangig das Interesse von Parteien bedienen. So lässt das Presseamt jeden Monat die Kompetenzwerte der großen Parteien auf insgesamt 17 Themenfeldern erheben.

Gegenüber stern.de kritisierte jetzt auch die Haushaltsexpertin der Linksfraktion, Gesine Lötzsch, diese Umfragepraktiken der Regierung. "Für Umfragen über Parteien sollten die Steuergelder nicht mehr verwendet werden", forderte die Abgeordnete. "Oder man schafft Regeln, dass alle den Zugang dazu bekommen."

Eine Veröffentlichung aller Umfragen des BPA im Internet lehnt das Amt jedoch ab. Die Behörde will die demoskopischen Studien nur auf Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zugänglich machen, was in der Regel eine wochenlange Bearbeitungszeit bedeutet.

Von SPD und Grünen kam bisher keine Kritik an den fragwürdigen demoskopischen Aktivitäten der Regierung - kein Wunder, denn unter Merkels Vorgängern wurde der BPA-Etat zum Teil in noch intensiverer Weise für parteibezogene Umfragen missbraucht.

"Parteipolitik pur"

Unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) sprach man im Presseamt gerne vom "Wählermarkt" und ließ - wie zuvor unter CDU-Kanzler Kohl - teilweise von mehreren Instituten parallel regelmäßig die Sonntagsfrage nach der Wählerpräferenz stellen, was nach Ansicht der Rechnungshöfe unzulässig ist. Vom Institut Forsa ließen Schröders Mitarbeiter im Presseamt wiederholt sogar die Meinung "abgewanderter SPD-Wähler" ermitteln, auch zur Wahrnehmung eines SPD-Parteitages im Jahr 1999 und der Frage, wer sich dort "durchgesetzt" habe: Eher "Modernisierer" Schröder? Oder die "Traditionalisten" um Oskar Lafontaine?

Also Parteipolitik pur. Aus der Zeit von CDU-Mann Kohl finden sich in den Archiven des BPA stapelweise Umfragen des Ipos-Instituts, mit denen wenige Monate vor Landtagswahlen die politische Stimmung in den jeweiligen Ländern erforscht wurde. Angeblich lässt sich heute nicht mehr ermitteln, wer die in Auftrag gegeben hatte.

Wenige Monate vor den Bundestagswahlen 2002 bestellten wiederum Schröders Leute mit Steuermitteln eine besonders dubios erscheinende Studie. Fokusgruppen in München, Leipzig und Bochum wurden vom Institut Polis mit Aussagen aus den Wahlprogrammen von SPD und CDU/CSU konfrontiert und um ihre Meinung gebeten. Welche Aussagen erschienen verständlich? Welche modern? Welche nicht? Die Polis-Leute stellten schließlich - mitten im Wahlkampf - eine Liste mit "Unworten" auf, "die in Reden und Diskussionen nicht verwendet werden sollten, weil sie unverständlich seien oder Unmut auslösten". Darunter die Vokabeln "Lohnabstandsgebot", "Sachleistungsprinzip", "Niedriglohnsektor", "Elite" und "Leistungsförderung".

Linke will Praxis auf den Prüfstand stellen

Lötzsch will nun in den kommenden Wochen bei der Beratung des Haushaltsplans der Bundesregierung für 2013 auf Änderungen der jetzigen Praxis drängen. Das Presseamt gibt pro Jahr zwei Millionen Euro für demoskopische Studien aus - kein Pappenstiel. "Für zwei Millionen Euro kann man schon eine Menge machen", sagt Manfred Güllner, der Chef des Forsa-Instituts, das auch für den stern arbeitet.

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