Etat-Beratungen Leeres Haus trotz eines Sanierungsfalls

Die Bundestags-Abgeordneten hielt es irgendwann nicht mehr im Parlament - sie wollten lieber die deutsche Elf gegen Ecuador gewinnen sehen. Und das obwohl Kanzlerin Angela Merkel das Land als einen "Sanierungsfall" bezeichnet hatte.

Der politische Stillstand in Deutschland begann um 15.36 Uhr und den Worten: "Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordung." So verkündete es Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau, und die Drucksache zur "Vorratsspeicherung durch den Europäischen Gerichtshof" war mit dem parlamentarischen Abpfiff schlagartig vergessen - die meisten Abgeordneten wollten zum Anpfiff. Als 25 Minuten später das Spiel Deutschland gegen Ecuador begann, trafen sich viele zum Fernsehen - eine ganz große Koalition der Fußballfans entstand, allerdings wie im Bundestag streng nach Fraktionen getrennt.

Tor-Jubel lauter als jede Rede im Plenum

Als in der vierten Minute das Führungstor für Deutschland fiel, jubelte eine große Koalition. Und auch danach war der Jubel über die Tore der Deutschen lauter als bei jeder Rede zuvor im Plenum. Gesundheitsfonds, Föderalismusreform, Unternehmenssteuern schienen weit weg. Der Plenarsaal war mitten in der Haushaltswoche gähnend leer.

Dabei hatte es der Auftakt der Haushaltswoche in sich, denn Kanzlerin Angela Merkel warnte mit deutlichen Worten vor der anhaltend schlechten Etatlage im Bund. Abseits des Parlaments, bei einer Tagung des Bundesverbandes der deutschen Industrie sprach sie vom "Sanierungsfall Deutschland". Selbst mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer sei die Lage im Haushalt für die Jahr 2007 und 2008 nicht einfach. Die Koalition werde jedoch in ihren Etats die Verschuldungsregel der Verfassung einhalten.

"Etat ist ein Armutszeugnis"

Das kann sich die Opposition allerdings so gar nicht vorstellen. Der FDP-Abgeordnete Jürgen Koppelin bezeichnete im Bundestag den Etat für das laufende Jahr als Armutszeugnis. Er erinnere ihn an den Gammelfleischskandal. Das Produkt sei neu verpackt und umetikettiert worden. "Aber es bleibt weiter Gammel, was Sie hier vorlegen", sagte er.

Für die Linkspartei bezeichnete die Abgeordnete Gesine Lötzsch die Leistungen der Koalition als mangelhaft. Gebe es dafür Zeugnisse, wäre sie stark versetzungsgefährdet. Wie auch die FDP kritisierten die Grünen die hohe Neuverschuldung von rund 38,2 Milliarden Euro als zu hoch. Die Koalition habe sich nicht genügend um Einsparmöglichkeiten bemüht.

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ging die Kritik, vor allem von Seiten der FDP zu weit, sie würde das Zerrbild eines Abkassierer-Staates zeichnen, sagte er und warnte davor, dass eine solche Kritik unredlich und gefährlich sei.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der Haushalt weist die höchste Kreditaufnahme auf, die jemals bei der Aufstellung eines Etats vereinbart wurde. Bis Ende des Jahres will der Bund insgesamt 261,6 Milliarden Euro ausgeben, 0,7 Prozent mehr als 2005. Die Ausgaben werden mit den neuen Schulden, Steuereinnahmen von 194 Milliarden Euro sowie dem Verkauf von Staatseigentum in Höhe von 6,6 Milliarden Euro finanziert.

"Haushalt verstößt nicht gegen Verfassung"

Der Minister trat zudem Vorwürfen entgegen, der Haushalt verstoße gegen die Verfassung. Zwar lägen die neuen Schulden um gut 15 Milliarden Euro über den Investitionen. Damit werde die Maßgabe verletzt, wonach die Investitionen höher sein müssten. Jedoch sei dieses Vorgehen zulässig, um eine Störung der Konjunktur zu vermeiden. Mit den 38 Milliarden Euro werde der erste Teil des 25 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramms finanziert, das das Wachstum auf eine stabile Grundlage setzen solle.

Reuters
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