In der umstrittenen Frage des türkischen EU- Beitritts bleiben die Gräben zwischen den Unionsparteien und der Türkei tief. Keinerlei Annäherung gab es am Montag in Ankara beim Treffen von CDU-Chefin Angela Merkel mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Den Vorschlag der Union, zwischen der Türkei und der EU als Alternative eine privilegierte Partnerschaft unterhalb der Ebene der Vollmitgliedschaft anzustreben, lehnte Erdogan ab. "Das war nicht in der Diskussion und wird nicht in die Diskussion reinkommen." Er warnte, im Europawahlkampf den EU- Beitritt der Türkei zum Thema zu machen.
Vier Monate vor der Europawahl verteidigte Merkel ihren Standpunkt, dass eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei auf absehbare Zeit nicht möglich sei und setzte sich damit in offenen Widerspruch zur Haltung ihrer Gastgeber. Merkel betonte, gerade um der Türkei nicht die Tür nach Europa zu verschließen, habe sie Verhandlungen über eine besondere Partnerschaft vorgeschlagen. Die Türkei solle dadurch nicht zu einem "Mitglied zweiter Klasse" werden.
Schröder bereist bald die Türkei
In einer Woche wird Bundeskanzler Gerhard Schröder in Ankara erwartet, der im Gegensatz zur Unions-Führung ausdrücklich die Vollmitgliedschaft der Türkei unterstützt.
Trotz der Meinungsunterschiede sollen nach Merkels erstem Türkei- Besuch die Beziehungen zwischen der CDU sowie der türkischen Regierung und Regierungspartei AKP nach den Vorstellungen beider Seiten in nächster Zeit vertieft werden. Merkel unterstrich, dass ihre Haltung nichts mit dem Reformwillen Ankaras zu tun habe.
Ihr Nein zu einer Vollmitgliedschaft sei vielmehr mit dem derzeitigen Zustand der EU begründet. Diese sei nach der Aufnahme der zehn mittel- und osteuropäischen Länder zur Integration der Türkei derzeit nicht in der Lage, sagte Merkel. "Ich sehe die Probleme bei uns in der EU."
Türkei soll nicht zum Wahlkampfthema gemacht werden
Mit Blick auf die Europawahl betonte Erdogan: "Die Türkei sollte nicht in einen politischen Machtkampf hineingezogen werden." Auch der Botschafter der Türkei in Deutschland, Mehmet Ali Irtemcelik, warnte davor, im Wahlkampf das Thema EU-Beitritt der Türkei in den Vordergrund zu stellen. Die Mitgliedschaft stehe derzeit nicht auf der Tagesordnung, sagte er der "Berliner Zeitung" (Montag). Daher sei es unangebracht, "die Gemüter zu verwirren" und Polemik und Propaganda mit dem Türkei-Thema zu betreiben.

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Zuvor hatte CSU-Chef Edmund Stoiber erneut deutlich gemacht, seine Partei werde das Thema EU-Beitritt der Türkei im Wahlkampf verwenden. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos schloss einen EU-Beitritt der Türkei kategorisch aus. "Die Türkei war nie Teil Europas", sagte er der "Schwäbischen Zeitung" (Montag). Merkel gab am Rande des Besuchs zu erkennen, dass die Union das Thema aufgreifen werde - aber "ohne Schaum vorm Mund".
Erdogan: Türkei wird EU stärken
Erdogan vertrat die Auffassung, dass ein Beitritt seines Landes keine neuen Lasten für die EU bringen werde, sondern die Türkei diese mittragen wolle. Die Türkei würde die EU stärken. Hintergrund der Diskussion ist, dass Ende des Jahres die Staats- und Regierungschefs der EU über die Aufnahme formeller Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entscheiden müssen. Zuvor muss allerdings die EU-Kommission einen Bericht über Fortschritte des Landes bei der Übernahme der europäischen Rechtsordnung und in Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung vorlegen. CDU und CSU sind derzeit nach eigener Einschätzung die einzigen Parteien in Deutschland, die einem türkischen EU-Beitritt generell ablehnend gegenüberstehen.
Merkel würdigte den Reformprozess in der Türkei. In den vergangenen Monaten und in der Regierungszeit Erdogans habe es zuvor "nicht gekannte Fortschritte" gegeben. Die Union wolle keineswegs die Tür für die Türkei zuschlagen.
DPA