Die Ungereimtheiten im Fall Kurnaz nehmen kein Ende. Im Interview mit dem ARD-Magazin "Monitor" erhob nun der ehemalige US-Chefunterhändler für die Freilassung von Guantanamo-Häftlingen und Ex-Bush-Berater Pierre Prosper schwere Vorwürfe. Die US-Regierung habe Kurnaz während dessen gesamter Haftzeit frei lassen wollen, sagte Prosper. Das hätten die Türkei und Deutschland gewusst. "Während meiner gesamten Amtszeit hat Deutschland mir gegenüber niemals ein Interesse bekundet, und ich war die Person, die innerhalb der US-Regierung dafür zuständig war."
Der ehemalige Vize des Bremer Verfassungsschutzes, Lothar Lachmann, erklärt in derselben Sendung, wieso Kurnaz eigentlich hätte entlassen werden müssen. "Eine bestätigte Information, dass Kurnaz gezielt nach Pakistan aufgebrochen ist, um Al-Kaida-Verbindungen aufzunehmen oder gar direkt in den Kampf zu ziehen, so etwas gab es nicht". Der Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der Kurnaz im September 2002 in Guantànamo vernahm, habe damals zu ihm gesagt, der aus Bremen stammende Türke sei Weihnachten 2002 wieder zu Hause. Jachmann: "Wir hatten alle nichts auf der Pfanne, weder die Amerikaner, noch der BND, noch der Verfassungsschutz."
Die Einschätzungen von Prosper und Lachmann wurden vom Auswärtigen Amt umgehend zurückgewiesen. Hätte die US-Regierung Kurnaz freilassen wollen, hätte sie dies tun können, sagte Martin Jäger, Sprecher des Außenministeriums in Berlin. "Fünf türkische Häftlinge wurden freigelassen - warum nicht Herr Kurnaz?"
Ausschuss-Sitzung geplatzt
Unterdessen kam es zu einem Eklat im BND-Untersuchungsausschuss: Die für den Donnerstag anberaumte Sitzung, bei der BND-Präsident August Hanning sowie der ehemalige Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau verhört werden sollten, platzte. Der Grund: Wichtige Akten des Bremer Verfassungsschutzes lagen nicht vor. Ausschusschef Siegfried Kauder (CDU) sagte: "Ohne Akten ist eine sinnvolle Arbeit im Ausschuss nicht möglich." Der Zeitplan für die weiteren Befragungen verzögert sich nun.
Der Ausschuss hatte die Akten aus Bremen bereits zweimal vergeblich angefordert. Die Akten sind deshalb von Bedeutung, weil sie Vermerke darüber enthalten sollen, wie die deutschen Geheimdienste die Gefährlichkeit von Kurnaz im Jahr 2002 einstuften. Diese Vermerke waren angeblich die Grundlage dafür, dass die Geheimdienstchefs Kurnaz am 29. Oktober 2002 als Sicherheitsrisiko begriffen und seine Wiedereinreise ablehnten. Der Präsident des Bremer Verfassungsschutzes, Walter Wilhelm, hat allerdings bereits eingeräumt, dass die Vermerke nur auf dem "Hörensagen" basierten.
Werden die Akten zensiert?
Die Unterlagen sollen derzeit in der Landesvertretung Bremen in Berlin liegen. Die Bremer Innenbehörde hatte sie nach eigenen Angaben Mitte Februar ans Bundesinnenministerium geschickt. Das Ministerium habe aber ebenso wie der Verfassungsschutz darauf bestanden, jene Teile der Akten zu entfernen, die ihre Behörden beträfen, so ein Sprecher der Bremer Innenverwaltung. Mit dieser Anweisung seien die Akten wieder an den Bremer Verfassungsschutz spediert worden. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele sagte, er befürchte, die Akten sollten "zensiert" werden.