Fleischskandal "Diese gewissenlosen Gesellen!"

Im Kampf gegen die Händler von Ekelfleisch setzt der neue Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) nicht nur auf verstärkte Kontrollen und gestraffte Zuständigkeiten. Er fordert auch die öffentliche Nennung von Namen.

Sie hatten sich immer gewünscht, wieder Minister zu werden. Nun sind Sie zwei Wochen im Amt und stecken mitten in einem Fleischskandal. War es das, was Sie wollten?

Natürlich hätte ich mir ein anderes Thema zum Auftakt gewünscht. Freude löst so etwas nicht aus. Aber generell: Ja, dieser Job fordert und erfüllt.

Seit der stern im Oktober den ersten Fleischskandal aufgedeckt hat, gibt es jede Woche neue Ekel-Meldungen. Wie lautet die bisherige Bilanz?

Es werden deshalb alle 327 großen Lebensmittelkühlhäuser überprüft. Dabei wurden bisher rund 200 Tonnen Fleisch sichergestellt, das entweder überlagert, vergammelt oder von vornherein lebensmittelrechtlich nicht handelbar war. Die Kontrollen gehen natürlich weiter, und die Ergebnisse werden veröffentlicht.

Hat Sie entsetzt, was da hochkommt?

Aufgewühlt hat mich das schon. Das kann doch nicht alles nur Schlamperei gewesen sein. Da muss doch der Verdacht auf organisierte Kriminalität aufkommen. Wir haben bisher keine Anzeichen für mafiöse Strukturen. Aber wir lassen uns da von niemandem täuschen. Auch ein Prozent schwarze Schafe sind zu viel. Man muss eindeutig stärker die Frage nach der persönlichen Zuverlässigkeit der Fleischmakler stellen. Die sitzen mit Laptops in irgendwelchen Wohnzimmern und handeln mit Fleisch, das sie nie gesehen haben. Es scheint Fälle zu geben, wo jemand schon mit dem Lebensmittelrecht in Konflikt kam und trotzdem weitermachen durfte.

Wie konnte das alles so lange unentdeckt bleiben?

Ich glaube, dass beim Verbraucherschutz in hohem Maße auch Symbolpolitik gemacht wurde. Dieser Eindruck verfestigt sich bei mir von Tag zu Tag mehr. Man hat mit Überschriften und Symbolen in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, man stünde auf Seiten der Verbraucher. Meine Vorgängerin Frau Künast hat sicher nicht alles falsch gemacht, aber sie hat vieles auch unterlassen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Zum Beispiel?

Wir hatten bis zum vorvergangenen Wochenende kein System, das sichergestellt hat, dass bei Gammelfleisch die Informationen von den Ländern an den Bund fließen. Wir hatten mangelhaften Informationsaustausch zwischen der Justiz und den Lebensmittelbehörden. Wir haben große Lücken bei den Kontrollintervallen und der Kontrollqualität in der Lebensmittelüberwachung. Wir haben keinerlei Fortbildung bei den Justizbehörden mit diesem Teilaspekt der Wirtschafts-kriminalität. Die Verantwortlichkeiten sind unklar. Der Fleischmakler sagt: Ich habe diese Ware nie zu Gesicht bekommen. Der Kühlhausbetreiber sagt: Das haben andere bei mir eingelagert. Der Spediteur sagt: Ich bin nicht verantwortlich für die Qualität des Fleisches, das ich transportiere. Und der Verkäufer sagt: Das ist mir so geliefert worden. Ich war auch erstaunt, dass die Fleischwirtschaft mir sagt: Endlich spricht mal jemand mit uns. Bei aller staatlichen Kontrolle brauchen wir aber auch die Eigenverantwortung der Wirtschaft.

Stichwort Wirtschaft: Wissen Sie, wie viel Zeit für die amtliche Gesundheitskontrolle eines Hähnchens am Schlachtband vorgesehen ist?

Sie werden es mir gleich sagen.

Laut Vorschrift 2,5 Sekunden, in der Praxis oft nur 0,8 Sekunden. Den Gemeinden und Landkreisen sind mehr Kontrolleure einfach zu teuer. Jetzt haben die großen Geflügelschlachter sogar überlegt, jährlich eine halbe Million Euro für mehr Kontrollen auch kleinerer Betriebe zu spenden.

Solche Vorschläge zeigen, wie groß der Handlungsbedarf ist. Ich bin wirklich gegen Panikmache und Übertreibungen. Aber es gibt für diese Entwicklung keinerlei Rechtfertigung. Harter Wettbewerb ist keine Entschuldigung. Auch nicht, dass angeblich bisher keine Gesundheitsschäden aufgetreten sind. Denn wir riskieren eine Gesundheitsgefährdung, zum Beispiel bei jemandem, der gerade ohnehin eine schwere Magen-Darm-Infektion hatte. Ich kann einen solchen Ritt auf der Rasierklinge nicht zulassen.

Lebensmittelkontrolle ist Sache der Länder. Müssen Sie da nicht zum Beispiel auch Ihren Kollegen Schnappauf von der CSU in Bayern kritisieren, wo der bisher größte Fleischskandal aufgeflogen ist?

Es gibt auf allen Seiten Verbesserungsbedarf, das muss man eindeutig sagen. Um für die Verbraucher etwas zu erreichen, darf jetzt nicht der Streit um Zuständigkeiten anfangen.

Wir haben da so unsere Zweifel...

Wenn das nicht gelingen sollte, weil manche auf Zuständigkeiten pochen oder Maßnahmen nicht für notwendig erachten, werden wir eine öffentliche Diskussion führen.

Mit welchem Ziel?

Dass öffentlicher Druck zu den notwendigen Entscheidungen führt. Selbst zuständig sein und andere verantwortlich machen, dieses Spiel geht nicht.

Sie wollen die Kompetenzen der Länder beschneiden?

Nein, es wäre falsch, die ortsnahe Kontrolle zu zentralisieren. Die Zuständigkeit vor Ort ist die Stärke des Föderalismus. Die Schwäche ist, dass in unserem Falle 16 Zuständigkeiten gegeben sind. Hier müssen die Regeln und Standards vom Bund koordiniert werden. Dazu haben wir jetzt ein 20-Punkte-Programm erarbeitet.

Das liest sich aber ziemlich schwammig. In sechs von zehn Sofortpunkten heißt es, es "soll" dieses und jenes passieren, dann gibt es zehn Punkte zur "Diskussion", wo man etwas "erörtern" und "kritisch prüfen" will.

"Soll" und "prüfen" heißt nicht, dass das mit einigem zeitlichen Abstand zu den akuten Ereignissen wieder verschwindet. Das ist ja ein beliebtes Krisenszenario. Nein, das heißt, dass das mit allem Nachdruck und mit aller Härte von mir vertreten wird. Besseren Informationsfluss haben wir schon umgesetzt. Die Meldepflicht für Verstöße, höhere Strafen, bessere Kennzeichnung, all das wird kommen.

In den Punkten steht nichts zur mangelnden Betriebskontrolle vor Ort. Der bayerische Betrieb mit dem Schlachtabfall wurde in den vergangenen beiden Jahren rund zehnmal behördenauffällig. Wegen Umweltverschmutzung, wegen Urkundenfälschung und so weiter. Zusätzlich war der Geschäftsführer einschlägig vorbestraft. Trotzdem wurde nie durchgegriffen. Gibt es auf lokaler Ebene zu große Abhängigkeiten und Rücksichtnahmen?

Über die Vermeidung von Verfilzung müssen wir mit den Ländern reden. Aber es wäre auch nicht richtig, hinter jeden Kontrolleur noch einen anderen zu stellen. Was in jedem Falle eine wichtige Ergänzung der Kontrolle ist, sind Transparenz und Öffentlichkeit. Wenn also Ekelfleisch unter die Leute gebracht wird, brauchen wir die Nennung des Namens des Verursachers.

Die Namensnennung von schwarzen Schafen wollte Frau Künast einführen, aber die Union hat sich gesperrt.

So wie die Namensnennung jetzt im Gesetz steht, ist sie auch mit der Mehrheit der Grünen im Bundestag verabschiedet worden. Wir können zurzeit die Namen der Firmen bei Ekelfleisch nur nennen, wenn die Ware noch in den Verzehr kommen könnte. Das bedeutet in der Praxis: Den raffgierigen Geschäftemacher, der seine Gammelware schnell verkauft, darf man nicht mehr nennen. Nur den, der seine Ware noch im Kühlhaus hat. Das muss man sehr schnell ändern.

Also eine aktuelle Gammelfleischliste auf der Internetseite Ihres Ministeriums einrichten?

Ja, oder auf der Seite des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Da kann man sich einiges vorstellen. Das prüfen wir gerade technisch. Da sind wir aber gespannt. Von Schlachtabfällen, die zu Gelatine verarbeitet wurden, sind zum Beispiel ganz große und namhafte Süßwarenhersteller betroffen. Die Alternative wäre doch, dass wir in Kauf nehmen, die Gesundheit der Verbraucher zu riskieren, weil möglicher-weise ökonomische Interessen berührt sind. Beim gesundheitlichen Verbraucherschutz kann man nur die Strategie der Null-Toleranz fahren. Alles andere ist nicht verantwortbar.

Ist das ein Versprechen? Wenn es hart auf hart kommt: Sind Sie Anwalt der Verbraucher und nicht der fleischverarbeitenden Industrie?

Das muss kein Gegensatz sein. Ich habe die Fleischwirtschaft gefragt: Sind Sie dafür, bei Ekelfleisch die Namen von Firmen zu nennen, auch wenn nichts mehr auf dem Markt ist? Die Antwort war: Ja. Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit der Fleischwirtschaft will, dass das, was jetzt an die Oberfläche kam, beendet wird. Und zwar nicht gegen die Wirtschaft, sondern mit der Wirtschaft. Aber nicht ohne Staat. Die Wirtschaft alleine schultert das nicht.

Müssten nicht auch die Verbraucher ein neues Qualitätsbewusstsein entwickeln und nicht nur billig-billig verlangen?

Man darf die Raffgier dieser gewissenlosen Gesellen nicht rechtfertigen mit dem Verbraucherverhalten. Die Geiz-ist-geil-Mentalität wird von vielen in der Wirtschaft aus Konkurrenzgründen in die Gesellschaft hineingetragen. Bei Stereoanlagen ist das nicht gefährlich, aber bei Lebensmitteln wollen wir Dumpingangebote unter den Selbstkosten verbieten. Kampfpreise erzeugen Druck, Hygienebestimmungen zu umgehen.

Wie halten Sie es selbst mit dem Fleisch?

Ich esse weiterhin Fleisch, denn die beste Leitlinie ist gemischte Ernährung im Zusammenhang mit körperlicher Bewegung.

Interview: Tilmann Gerwien/ Georg Wedemeyer

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