Person der Woche Friedrich Merz, der "Kann er das?"-Kandidat

CDU-Chef Friedrich Merz
CDU-Chef Friedrich Merz
© Christoph Soeder / DPA
Einst wollte er die AfD halbieren, längst hat Friedrich Merz eingesehen: Das klappt nicht. Wie aber den Rechtspopulisten beikommen? In der CDU kommen eine Reihe von Fragen auf – auch die der Kanzlerkandidatur.

Es hat alles nichts genützt. Da will sich die CDU sogar ausdrücklich einmal mit sich selbst beschäftigen, mit frischen Inhalten und neuen Perspektiven von sich Reden machen – und dann dreht sich nach einem langen Selbstfindungs-Wochenende doch wieder alles um ihn: Friedrich Merz.

Die Christdemokraten ringen um ihre inhaltliche und strategische Ausrichtung. Es ist ein langwieriger Prozess, der im Frühjahr 2022 begonnen hat und 2024 in einem neuen Grundsatzprogramm münden soll. Selbsterklärtes Ziel: Die CDU wieder an die Macht zu führen. Am Freitag wurde erst auf einem Kleinen Parteitag, am Samstag auf einem "Grundsatzkonvent" weiter am Masterplan getüftelt. 

Seit einigen Wochen gerät dabei eine Frage in den Fokus, die dem CDU-Chef nicht gefallen kann: Ist sein Kurs der richtige, kann er die CDU so zurück ins Kanzleramt bringen? Oder sollte an seiner Stelle lieber ein anderer, populärer Mann der Mitte für die Union bei der nächsten Bundestagswahl antreten? Hendrik Wüst zum Beispiel, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

Bisher war Merz diszipliniert genug, die schwelende Personaldebatte nicht öffentlich anzuheizen. Nun ja, bis jetzt. Am Sonntagabend musste der CDU-Vorsitzende im ZDF-Interview etwas loswerden. Es war ein bemerkenswerter Auftritt mit ebenso bemerkenswerten Aussagen.

Merz beklagte im Gespräch eine große Verunsicherung in ganz Deutschland – "übrigens auch in Nordrhein-Westfalen." Dort sei die Unzufriedenheit mit der Landesregierung "fast genauso groß" wie mit der Ampel-Koalition. Und, nicht zu vergessen, auch in NRW sei die AfD "fast so stark" wie im Bund. 

Fast konnte man glauben, der Westfale Merz sei ernsthaft besorgt um sein Heimat-Bundesland. Aber eben nur fast. Zwar stimmt es, dass die Unzufriedenheit der Wähler mit Schwarz-Grün (55 Prozent) in NRW wächst – jedenfalls im Vergleich mit der Vorgängerregierung –, aber ganz so dramatisch wie bei der Ampel-Koalition (79 Prozent) ist es nicht. Auch das Umfragehoch der AfD (15 Prozent) fällt dort geringer aus als bundesweit (18 bis 19 Prozent). Und so liegt doch eher der Schluss nahe, dass der CDU-Chef eine ganz andere Botschaft aussenden wollte: Auf Ratschläge aus NRW kann er verzichten.

Denn NRW-Ministerpräsident Wüst, der Mächtigste unter den CDU-Landeschefs, hatte kurz zuvor in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die er aus seiner Sicht beantwortet: Wie sollten die Christdemokraten Politik machen? Welche Sprache sollten sie dabei sprechen? Und wie sollten sie den Rechtspopulisten begegnen? Merz dürfte bei der Lektüre nicht entgangen sein, dass a) in den Ausführungen nicht einmal sein Name fällt und b) die vorgebrachten Vorschläge nicht unbedingt seinen Vorstellungen vom künftigen Kurs entsprechen. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Hat Friedrich Merz zu viel versprochen? 

Merz ist nach zwei vergeblichen Versuchen an die Spitze der CDU gewählt worden, um der nach 16 Regierungsjahren entkernten CDU wieder ein attraktives Profil zu verpassen. Und, so formulierte er 2018 seinen Anspruch, um die AfD "zu halbieren" – das Vorhaben hat sich im Nachhinein als frommer Wunsch herausgestellt. 

Zwar hat Merz die CDU wieder stabilisiert. Aktuell steht sie bei rund 30 Prozent in den Umfragen. Aber: Dort stagniert sie auch. Obwohl die Ampel-Koalition aktuell viel dafür tut, ihre Wähler abzuschrecken, kann die Union vom Dauerkrach der Koalitionäre kaum profitieren. Während die Umfragewerte für die AfD steigen. Und trotz des desolaten Erscheinungsbildes der Regierung von Olaf Scholz zieht Merz in der Kanzlerfrage weiterhin den Kürzeren. 

Taugt er nicht als Zugpferd? Dass sich die Frage stellt, ist für Merz bedenklich genug. Schwerer wiegt möglicherweise eine andere: Ab durch die Mitte oder rechts abbiegen?

In dieser Frage zeigen sich die Christdemokraten gespalten, es deutet sich ein regelrechter Richtungsstreit an. Die einen wollen dem Erstarken der Rechtspopulisten mit einer deutlicheren Ansprache beikommen, die auch auf "einfache Botschaften" (Fraktionsvize Jens Spahn) setzt. Laut Merz müsse die Partei auch in der Lage sein, "Probleme zu adressieren – auch mal mit Formulierungen, die nicht jedem gefallen". Das sei "dann nicht gleich rechts", auch "nicht gleich rassistisch" oder "AfD-Sprech". Dieser Losung folgend, ist es offenbar auch zulässig, aufmüpfige Schüler mit Migrationshintergrund als "kleine Paschas" zu bezeichnen – eine Aussage, zu der Merz steht. 

Andere Christdemokraten mahnen hingegen zu einer "Politik mit dem Herzschlag der Mitte" (NRW-Ministerpräsident Wüst) und warnen davor, dass "populistisches Draufhauen" (Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther) der Partei nicht helfen werde. 

Wie entzweit die Partei in dieser Grundsatzfrage ist, zeigt sich auch in der Bewertung eines Auftritts der Ex-Olympionikin Claudia Pechstein in ihrer Polizeiuniform beim CDU-Konvent. In einem Impulsvortrag verteidigte die frühere Eisschnellläuferin das "Zigeunerschnitzel" und kritisierte das "Gendersternchen". Darüber hinaus plädierte sie für traditionelle Familienbild von "Mama und Papa". Es war ein Populismus-Best-of, das auch markige Aussagen zur Asylpolitik und Abschiebungen beinhaltete – und verdächtig nach dem AfD-Sound klang. 

Und Merz? Lobte den Auftritt als "brillant“, den Inhalt der Rede als "wirklich interessant" und und als Motivation, "in diese Richtung weiterzuarbeiten". Dieser Meinung sind längst nicht alle Christdemokraten. Werden sie ihm folgen? Oder doch lieber NRW-Ministerpräsident Wüst, der in seinem Gastbeitrag einen anderen Weg vorgeschlagen hat: "Die CDU erteilt dem spalterischen Populismus eine Absage." 

Zwar sagte Merz am Dienstag gegenüber Journalisten, dass er "kooperativ und störungsfrei" mit Wüst zusammenarbeite. Aber angesichts der Ereignisse der vergangenen Tagen darf man daran durchaus Zweifel haben. Ob er den Eindruck habe, dass sich Wüst auf eine Kanzlerkandidatur vorbereite? "Das müssen Sie zunächst einmal ihn fragen", antwortete Merz. Er habe den Eindruck, dass der NRW-Ministerpräsident "sehr daran interessiert ist, dass wir gemeinsam Erfolg haben."  

So oder so hat nun eine Debatte begonnen, die Merz eigentlich noch nicht führen wollte. Die Frage der Kanzlerkandidatur werde im Spätsommer 2024 entschieden, hatte der CDU-Chef immer wieder gesagt. Nicht ausgeschlossen, dass ihm nicht mehr so viel Zeit bleibt. Oder gelassen wird.

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