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Gipfel in Hamburg "Wir machen keinen Scheiß": Wie die größte G20-Demo friedlich blieb

Solidarity not capitalism - Die Großdemo Solidarität ohne Grenzen beim G20-Gipfel blieb friedlich
76.000 Menschen nahmen an der größten Demonstration gegen den G20-Gipfel teil. Trotz Teilnahme radikaler Gruppen wie dem Schwarzen Block blieb der Protest friedlich.
© Andreas Herzau/stern
"Es wird eine friedliche Demo", versprach Organisator Jan van Aken. Obwohl er radikale Gruppen nicht von der größten Kundgebung gegen den G20-Gipfel ausschließen wollte, behielt der Linken-Politiker am Ende recht.
Von Arno Luik

Der Tag, auf den er seit zehn Monaten hingearbeitet hat, beginnt schlecht. Der Kaffee ist zu dünn, die Brötchen sind verbrannt, und außerdem ist draußen ein trübes Wetter. Es nieselt, und das mögen Demonstranten nicht.

In fünf Stunden soll sie losgehen, die größte Demo gegen den G20-Gipfel. Jan van Aken hat diese Demonstration organisiert: "Solidarität ohne Grenzen - statt G20".

Jetzt ist es 6 Uhr 30, Jan van Aken sitzt auf dem roten Sofa in seiner WG-Küche auf St. Pauli, Einrichtung wie in den 70er/80er Jahren, und nicht nur die Brötchen sind verbrannt, er hat auch noch schlecht und wenig geschlafen, und er ist außerdem ziemlich sauer. Auf die Banden, die in der Nacht zuvor, das Viertel, in dem er wohnt, die Schanze, in Schutt und Asche gelegt haben. Er spricht von "sinnentleerter Gewalt", und dass dieser Gewaltrausch "auch keine Reaktion auf die Überreaktionen der Polizei in den vergangenen Tagen" gewesen sei, da seien "schlichtweg Hooligans" am Werk gewesen, "dummes Macho- und Mackertum", "mit Politik" habe das nichts mehr zu tun.

G20-Demo: Linken-Politiker Jan van Aken spricht sich nicht gegen Gewalt aus

G20-Protest: Bleiben die Leute weg?

Dass van Aken so scharf über die Täter jener Nacht spricht, verwundert etwas. Denn gleich wird die von ihm organisierte Demo durch Hamburgs Straßen ziehen. Und mit in diesem Demozug auch Truppen, vor denen sich das Land fürchtet: der Schwarze Block. Die Autonomen. Die Interventionistische Linke. "Wer bei uns mitläuft", sagt aber van Aken, "hat nichts mit den Leuten von heute Nacht zu tun. Es wird eine friedliche Demo."

Aber natürlich ist da diese Angst. Dass nun diese gut organisierten Typen, die in der Nacht wüteten, und auch Leuten wie ihm, die seit Jahrzehnten in seiner Stadt politisch aktiv ist, unbekannt sind, in den Demonstrationszug einsickern – und dass dann die Polizei eingreift. Und zuschlägt. Und dass dann die Demo auseinanderfliegt – und die linke G20-Opposition wieder mal dumm dasteht in der Öffentlichkeit: als Chaoten. Gewalttäter.

Und da ist diese Ungewissheit: Bleiben wegen der nächtlichen Randale Leute weg? Oder mobilisiert der gewalttätige Mob? Dass sich die Leute sagen: So, jetzt erst recht! Aber van Aken lässt diese Gedanken jetzt nicht zu, das miese Wetter stört ihn im Augenblick mehr, und jetzt muss er los.

Gefeilsche, Geschiebe, Geschachere, Generve

Der Tag der großen Demo ist für ihn streng getaktet. Da sind interne Treffen, um 7 Uhr ist eine "Demo-Koordinationssitzung", um 9 Uhr tagt der "Demorat", um 10 Uhr gibt es Gespräche mit den Einsatzleitern der Polizei.

So geht es seit Monaten. Und für all diese Gespräche müsste man eigentlich ein ausgebildeter Top-Diplomat der Sonderklasse sein, um sie durchzustehen. Es ist ein Gefeilsche, Geschiebe, Geschachere, Generve, ein Geben und Nehmen wie auf dem Bazar, es geht um persönliche Eitelkeiten, politische Würde. Zum Beispiel: In welcher Reihenfolge werden die Wagen der verschiedenen Organisation aufgestellt? Wer darf vorne im Demonstrationszug marschieren? Wer muss hinten laufen? Halten sich die Autonomen und der Schwarze Block an die Verabredungen? Verzichten sie auf Hasskappen, auf Vermummung? Halten sich die Kurden an die Auflage, es werden immerhin 15.000 bis 20.000 von ihnen als Teilnehmer erwartet, keine verbotenen PKK-Fahnen zu tragen, keine Bilder ihres Führers Öcalan hochzuhalten? Wie verhalten sich die ungestümen, im Normalfall von niemanden zu kontrollierenden jungen Kurden?

Vieles bleibt im Vagen

Und die Polizei? Ab wie vielen Öcalan-Bildern greift sie ein? Bei einem Bild oder zehn? Was duldet sie? Ab wann beginnt Vermummung? Wie viele Böller akzeptiert die Polizei? Einen oder 100? Lässt die Polizei den Demonstranten Zeit, Probleme selbst zu regeln?

Vieles bleibt bis zum Schluss ungeklärt, im Vagen. Da ist auch noch die Sache mit den Bussen. 110 werden erwartet. Die Polizei sagt: Außerhalb von Hamburg, in Bergedorf, sollen sie parken. In die Innenstadt dürfen sie nicht rein. Die Demonstranten könnten ja mit der S-Bahn in die City komme. Aken sagt: Wir wollen, dass sie in die Innenstadt kommen.

Und sie alle schaffen es in die Stadt, manche mit Verspätung, weil sie gestoppt und durchsucht wurden, sei's drum.

G20 Großdemo bunt und letztlich friedlich
Bunt und friedlich: So wie die G20-Großdemo am Samstag hätten sich die Verantwortlichen generell den Protest gegen das Treffen der mächtigsten Staatslenker in Hamburg gewünscht.
© Andreas Herzau/stern

"Wir machen keinen Scheiß"

Um zehn Uhr scheint die Sonne über dem Aufstellplatz der Demonstranten an den Deichtorhallen. Van Aken marschiert zum Wagen der "Alarmabteilung" der Polizei, also dem Einsatzleiter. Es geht jetzt nochmals um Auflagen, Abmachungen, ob es auf dem Anweg zur Demo Vorkontrollen gibt ("gibt es nicht"), warum ein Bus aus Münster seit zwei Stunden festgehalten wird ("davon weiß ich nichts, werde ich mich erkundigen"), ob es stimmt, dass der S-Bahnverkehr eingestellt ist ("davon weiß ich nichts"), man ist freundlich, lacht, aber man misstraut sich, man ist höflich, man versichert sich, "entsprechend den Situationen zu handeln" – und beide Seiten wissen, dass jeder etwas anderes darunter versteht.

Zum Schluss, es ist jetzt 10 Uhr 40, geben sich Einsatzleiter Ulrich Wagner und Jan van Aken wie bei einem Staatsakt die Hände. Aken: "Wir machen keinen Scheiß." Wagner: "Wir dulden keine Rechtsbrüche. Wir beobachten den Aufzug. Wir haben massive Kräfte vor Ort. Unsere Hürde zum Eingreifen ist relativ hoch. Aufgrund der Ereignisse der letzten Nacht wollen wir keine Eskalation. Ich bin überzeugt, dass wir die Demo relativ unfallfrei zu Ende bringen."

G20 Großdemo-Organisator Jan van Aken im Gespräch mit der Polizei
Gefeilsche, Geschachere: Demo-Organisator Jan van Aken diskutiert mit Einsatzleitern der Polizei
© Andreas Herzau/stern

Jan van Aken - ein PR-Coup in Person

Jan van Aken. Es ist ein Wunder, dass er diese Demonstration hinbekommen hat. Es ist ungewöhnlich, dass ein Parteipolitiker (Aken sitzt seit 2009 im Bundestag für die Linken), solch eine Demo anmeldet, die von allen möglichen Gruppen, Gewerkschaften, politischen Organisationen, Linken, Linksradikalen, Anarchos, moderaten Umweltschutzgruppen, getragen wird. Nichts machen Linke ja lieber, als sich zu selbst zu zerfleischen. Er hat dieses bunte Bündnis zusammengehalten. Dass die Grünen daraus ausgestiegen sind, damit auch aus dem politischen Milieu, das sie mal groß gemacht hat, hält van Aken "für einen politischen Fehler".

Dass der 56-Jährige der Demoleiter ist - er hat sich dagegen gewehrt, sagt er -, ist ein eher unbeabsichtiger PR-Coup seiner Mitstreiter. Das zeigt sich in diesen G20-Gipfeltagen. Van Aken ist auch im bürgerlichen Lager respektiert. Der promovierte Biologe war bei Greenpeace Aktivist, er hat als Uno-Waffeninspektor in Syrien gearbeitet, er gilt als einer der profiliertesten Rüstungsexperten im Bundestag. Und die Medien kennen ihn, besonders die Medienvertreter aus der Hauptstadt, sie wissen, dass er unfallfrei reden, dass er komplexe Dinge verständlich formulieren kann. Und wo immer er sich in diesen Tagen bewegt, auf ihn richten sich Mikrofone und Kameras.

"Die, die reden, die schießen nicht aufeinander"

Dem Deutschlandfunk sagt er, dass er es gut findet, dass bei dem Gipfel über wichtige Dinge gesprochen wird. "Reden hilft immer", denn "die, die reden, die schießen nicht aufeinander". Allerdings, sagt er, entschieden dabei 19 Länder über den "Rest der Welt". Und das gehe gar nicht. Und er kritisiert, dass die Regierenden in Hamburg zusammenkommen, er fragt das eigentlich so Naheliegende: "Warum treffen die sich nicht eigentlich direkt vor der Generalversammlung in New York im September? Da sind sowie alle."

In den "Tagesthemen" schafft er es, am Schluss eines Interviews noch einen Demo-Aufruf unterzubringen: "Kommt alle am Samstag!"

Nicht mehr als harmlose Rangeleien

Am Samstag, um 15 Uhr 15, erfährt van Aken, wie viele Menschen bei der Demo, es ist ein mehre Kilometer langer Zug voller bunten Fahnen, Musik, Reden und Tanzen, mitmachen: 76.000. Das ist die größte Demonstration in Hamburg seit drei Jahrzehnten.

Um 21 Uhr ist für Jan van Aken der Demotag zu Ende. Es hat ein paar harmlose Rangeleien gegeben, einmal, ganz am Schluss, als ein paar Flaschen geflogen sind, hat er sich mit erhobenen Armen zwischen Polizei und Demonstranten gestellt – und das war es dann.

Jetzt sitzt er wieder auf dem roten Sofa in seiner WG-Küche, und er öffnet eine Flasche Sekt. "Auf diesen Moment habe ich monatelang gewartet!"

Jan van Akens Bewertung der Polizeistrategie nach dem G20-Gipfel (ARD-Morgenmagazin):

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