Nach monatelangem Streit haben die Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, ein gemeinsames Konzept für eine Gesundheitsreform vorgelegt. Es sei ein Kompromiss gefunden worden, "der unumkehrbar in die richtige Richtung weist", sagte Merkel heute in Berlin. "Es wird kein Zurück mehr geben, und wir können dieses Konzept gemeinsam vertreten. Das ist ein unglaublicher Wert an sich und gleichzeitig eine Weichenstellung für die Zukunft." Jede Seite habe auf die andere zugehen müssen. "Das ist die Natur von Kompromissen."
Stoiber sagte, die lange Diskussion über das Gesundheitskonzept habe sich gelohnt. Man habe sich auf ein "modernes, zukunftsfähiges und auch auf ein solidarisches Gesundheitskonzept" geeinigt. "Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden."
Das Konzept sieht vor, dass künftig jeder Versicherte 109 Euro für seine Krankenversicherung aus eigener Tasche zahlt. Zusätzlich sollen die Kassen weitere 60 Euro je Versichertem erhalten, so dass eine einheitliche Gesundheitsprämie von 169 Euro für jeden Versicherten ankommt. Die notwendige soziale Absicherung von Geringverdienern und die prämienfreie Versicherung von Kindern soll nach der Vereinbarung vom Sonntag auch über Steuergelder finanziert werden.
Nachdem das CDU-Präsidium dem Modell am Sonntagabend zugestimmt hat, wird sich heute Mittag auch der CSU-Vorstand mit dem Kompromiss beschäftigen.
Westerwelle spricht von „Flickschusterei“
Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk, warnte vor einem unglaublichen Maß an Bürokratie, die das CDU/CSU-Modell mit sich brächte. Die SPD-Politikerin bezog sich damit vor allem auf die von der Union geplante Einrichtung einer Verrechnungsstelle, an die die Arbeitgeber ihre bei 6,5 Prozent eingefrorenen Beiträge zahlen sollen.
Caspers-Merk kritisierte in der heutigen Ausgabe der "Financial Times Deutschland" außerdem, das Unionskonzept lasse Fragen offen. So sei ungeklärt, wie es mit der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen weitergehe. Auch bei der Finanzierung des so genannten Sozialausgleichs bleibe das Unionskonzept unkonkret.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sprach von "Flickschusterei". Der Zeitung "Die Welt" sagte er: "Die Linie dieses Unionskompromisses stimmt hinten und vorne nicht." Es führe nicht zur Generationengerechtigkeit, gebe keine Antwort auf die Probleme der Altersstruktur und "löst leider auch nicht das Problem der steigenden Lohnzusatzkosten".

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Unions-Streit um Gesundheitspolitik beigelegt
Ermöglicht wurde der Durchbruch offenbar durch die Bereitschaft Stoibers, nun doch zu akzeptieren, dass ein Teil des Systems aus Steuern finanziert wird. Stoiber sagte dem "Spiegel", der Generationenfonds zur Versicherung von Kindern "könnte auch über Steuern und damit von allen finanziert werden". Dafür nähme Stoiber in Kauf, dass der Spitzensteuersatz weniger gesenkt wird als von der Union bisher geplant, nämlich von derzeit 42 Prozent nur auf 39 und nicht auf 36 Prozent. Das Magazin "Focus" meldete, Stoiber wolle die Forderung nach einem einkommensabhängigen Zuschlag zur Kopfpauschale aufgeben.
Der CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer hatte bereits am Freitagabend bestätigt, dass für alle gesetzlich Krankenversicherten eine Prämie von 109 Euro geplant sei. Für Versicherte, für die dies mehr als sieben Prozent des Einkommens bedeuten würde, ist demnach ein Sozialausgleich vorgesehen. Auch für Kinder sollen die Prämien aus einem Gemeinschaftsfonds bezahlt werden.
CDU-Wirtschaftsrat warnt vor der Verwässerung des Steuerkonzeptes
Dazu plant die Union, den Krankenkassenbeitrag der Arbeitgeber bei 6,5 Prozent einzufrieren und damit einen Gemeinschaftstopf zu füllen. Laut der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sollen aus diesem Sondervermögen 60 Euro je Versicherten direkt an die Kassen fließen. Der Rest, etwa 25 Milliarden Euro, gehe in den Sozialausgleich. Da diese Summe nicht reiche, sollen sieben bis acht Milliarden Euro der Prämien für Kinder aus Steuergeldern gezahlt werden.
Der CDU-Wirtschaftsrat warnte die eigene Partei davor, das Steuerkonzept zu verwässern, um die Gesundheitsreform zu finanzieren. In der "Welt am Sonntag" monierte sein Präsident Kurt Lauk zudem das Festhalten an einem prozentualen Arbeitgeberbeitrag als Verstoß gegen den Parteitagsbeschluss zur Gesundheitsreform.
Kritik am Kompromiss
Seehofer, der an den Kompromissverhandlungen zuletzt nur mittelbar beteiligt war, stellte am Freitagabend in Tutzing abermals die Einheitsprämie grundsätzlich in Frage. Sie entlaste nur Besserverdiener. „Ich werde für eine solidarische Finanzierung eintreten, und zwar ganz massiv“, sagte er.
Die bekannt gewordenen Kompromisslinien stießen auf teils heftige Kritik. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", das Unions-Modell sichere nicht die Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung. "Das Aufkommen reicht nicht", sagte die SPD-Politikerin. Grünen-Fraktionschefin Krista Sager sagte der "Berliner Zeitung", eine geringere Senkung bringe noch lange keine Mehreinnahmen. FDP-Chef Guido Westerwelle sprach im "Hamburger Abendblatt" von einem "frustrierenden Dokument von Mutlosigkeit".