Die SPD will die Gesundheitsreform von Union und FDP im Falle eines Wahlsiegs nach der nächsten Bundestagswahl vollständig zurücknehmen. "Von dieser Reform wird nichts übrig bleiben, wenn wir wieder Verantwortung übernehmen", sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der "Augsburger Allgemeinen". "Es ist ganz klar, dass wir diese Form der einseitigen Belastung der Arbeitnehmer komplett rückgängig machen werden."
Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung würden die Krankenversicherungskosten für Kassenmitglieder doppelt so schnell steigen wie bisher, kritisierte Lauterbach. "Die Folgen der Alterung der Gesellschaft und der technische Fortschritt in der Medizin sollen künftig allein aus den Nettoeinkünften der Arbeitnehmer bezahlt werden", fügte er hinzu. Er erwarte als Folge künftig wesentlich härtere Tarifkämpfe in Deutschland, weil die Gewerkschaften einen Ausgleich für die Übernahme der Gesundheitskosten verlangen würden.
Die Hauptbenachteiligten am Schluss der Reform seien jedoch die Rentner, "weil sie von höheren Löhnen für Arbeitnehmer kaum profitieren werden", sagte der SPD-Politiker. Lauterbach warnte, es gebe "zunehmend eine Drei-Klassen-Medizin in Deutschland". Nicht nur seien Kassenpatienten gegenüber Privatversicherten benachteiligt, "die Verlierer sind vor allem die Menschen auf dem Land", sagte der Gesundheitsökonom. "Sie bezahlen hohe Beiträge, demnächst zusätzlich die Kopfpauschale, bekommen aber eine stetig schlechtere Versorgung, weil Hausärzte wegfallen, zum Teil auch Krankenhäuser."
CSU fordert Nachbesserungen
Auch aus bayerischer Sicht sind die Reformpläne der Bundesregierung enttäuschend. Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) verlangte in der "Passauer Neuen Presse" Nachbesserungen zugunsten Bayerns. So gehe die künftige Honorarverteilung der Fachärzte "eindeutig zulasten Bayerns, während andere Bundesländer bevorzugt werden". "Die bayerischen Versicherten zahlen ab dem 1. Januar höhere Beiträge, aber die Leistung dafür erhalten die Patienten in anderen Bundesländern."
Dennoch zeigte sich Söder hoffnungsvoll, dass die schwarz-gelbe Koalition in Berlin am Ende zu einem "akzeptablen Kompromiss" komme: "Es steht vieles im Entwurf, das wir gemeinsam mittragen. Wir müssen gemeinsam Herausforderungen bewältigen, Chancen ergreifen und Probleme lösen."
Verbraucherschützer fordert Abgaben der Pharmaindustrie
Nach Ansicht von Verbraucherschützern lassen sich im Gesundheitsbereich "ohne weiteres" bis zu 15 Milliarden Euro einsparen, wenn die Bundesregierung "den Mut zu einer wirklichen Gesundheitsreform" aufbrächte. Gerd Billen, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, kritisierte in der "Leipziger Volkszeitung" die am Mittwoch eingebrachte Reform von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP): "Die allermeisten der Kassenpatienten werden mehr bezahlen müssen. Bei sehr vielen Kassen wird es zu Zusatzbeiträgen kommen." Ein Teil dieser Kostensteigerungen hätte demnach vermieden werden können, "hätte sich die Regierung getraut, der Pharmaindustrie und den Apothekern mehr von dem abzuknöpfen, was sie an unserem Gesundheitssystem verdienen".