stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern: "Ohne starke Bahn werden wir die Verkehrswende nicht schaffen"

Stern Heft 26 2023 Titel: " Chaos Bahn: Wann wird es endlich besser?"
Das aktuelle stern-Cover: "Chaos Bahn: Wann wird es endlich besser?"
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Chefredakteur Gregor Peter Schmitz über die aktuelle stern-Ausgabe: Auf die Bahn wartet ein gigantisches Investitionsprogramm – und ein angeblicher stern-Bericht sorgt in Russland für Furore.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Chef der Deutschen Bahn zu sein ist vergleichbar mit der Aufgabe, Trainer der Fußballnationalmannschaft zu sein. Es gibt gefühlt mehr als 80 Millionen Deutsche, die ganz genau wissen, wie sich dieser Job besser machen ließe, und dies auch gern lautstark kundtun. Das Mitleid mit Richard Lutz, aktueller DB-Boss, darf sich trotzdem in Grenzen halten, immerhin wird er in Fußball-Kategorien entlohnt. Damit endet aber der Vergleich: Denn während die Nationalmannschaft zwar immer mal wieder schwächelt, steht sie in Ranglisten doch immer noch einigermaßen weit vorn in Europa und der Welt. Die Deutsche Bahn hingegen ist in vielen Disziplinen, vor allem der Pünktlichkeit, oft solides Schlusslicht im internationalen Vergleich. Grund dafür ist auch, dass die Politik die Investitionen in ein modernes Streckennetz immer wieder verschleppt hat. Nun soll sich das ändern, was freilich erst einmal zu noch mehr Bahn-Chaos führen dürfte. Unternehmen Zukunft, Deutsche Bahn – kann der Slogan doch noch Wirklichkeit werden? Das Gelingen ist eigentlich alternativlos. Ohne eine starke Bahn werden wir die Verkehrswende nicht schaffen, ganz gleich wie ungern dies Nostalgiker der Autofahrernation Deutschland hören.

Dass Nostalgie kein Geschäftsmodell ist, weiß natürlich auch Friedrich Merz, immerhin ist er sehr stolz auf seine Erfahrung in der freien Wirtschaft. So ganz gilt das allerdings nicht, denn an Volksparteien-Umfragewerte von früher würde Merz gern anknüpfen, was ihm aber nicht wirklich gelingt, weswegen in der CDU das Murren über den Vorsitzenden lauter wird. Merz’ Strategie ist aktuell, Deutschland als einen riesigen Sanierungsfall darzustellen, was natürlich die Schuld der Ampelregierung sei. Dass ihm dies in den Umfragen nicht mehr Zustimmung einbringt, liegt nicht an Nostalgie, sondern dem Gegenteil davon: Viele Deutsche haben nicht vergessen, dass die Union zuvor 16 Jahre lang im Kanzleramt regiert hat.

Angeblicher stern-Bericht über Budanow im Koma: "Die Geschichte ist nichts anderes als ein glattes Fake"

Die 1,3 Millionen Leser des Telegram-Kanals von Wladimir Solowjow, Wladimir Putins lautstärkstem Propagandisten, mögen sich am vorigen Samstagmorgen gefreut haben: "Budanow im Koma – so das deutsche Magazin stern" stand dort, darüber ein Bild von Kyrylo Budanow, dem Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR. Wie der stern berichte, hätten seine Journalisten anonym mit Ärzten des Krankenhauses gesprochen, in das Budanow eingeliefert worden sei. Nach ihren Worten sei beim Chef des ukrainischen Geheimdienstes das Gehirn aufgrund einer Kopfverletzung beschädigt, die Prognose besorgniserregend.

Die Meldung mit Verweis auf den stern findet sich auch auf weiteren populären russischen Telegram-Kanälen. Es gibt nur ein Problem: Der stern hat keine derartige Nachricht veröffentlicht. Mein Kollege und Russland-Experte Moritz Gathmann ordnet ein: "Die Geschichte ist nichts anderes als ein glattes Fake, eine weitere Falschnachricht, die russische Propagandisten in die Welt setzen. Die Idee dahinter: Kaum ein Leser wird sich die Mühe machen, zu überprüfen, ob auf der Seite des stern tatsächlich eine derartige Meldung zu finden ist – ganz abgesehen davon, dass die meisten Russen vor einer sprachlichen Barriere stehen. Offenbar gehört die Falschnachricht zu einer größer angelegten russischen Desinformationskampagne speziell gegen Budanow: Die staatliche Nachrichtenagentur RIA Nowosti hatte berichtet, Budanow sei am 29. Mai bei einem russischen Raketenangriff auf Kiew schwer verletzt und nach Berlin gebracht worden. Was bleibt? Ein weiterer Beleg für die primitiven Methoden, mit denen Russland im Zusammenspiel von Nachrichtenagenturen, wirkmächtigen Propagandisten im sozialen Netzwerk Telegram und ausgedachten 'westlichen Medienberichten' Falschmeldungen in Umlauf bringt."

Gegen derartige Desinformation hilft nur: Information. Immerhin: Unsere Richtigstellung wurde in führenden russischen Zeitungen verbreitet. Ganz verloren ist der Journalismus dort offenbar noch nicht.