stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz über die Krise der Grünen: "Ganz gleich, was Robert Habeck derzeit anpackt, es haut nicht hin"

Das aktuelle Stern Heft Nummer 25 2023 Titel: Mehr Leben, anders Arbeiten
Das aktuelle stern-Cover: "Mehr leben, anders arbeiten: Wie die Generation Z den Arbeitsmarkt revolutioniert – und weshalb wir alle davon profitieren könnten"
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Streit bei Bündnis 90/Die Grünen, Interview mit Fiona Hill und neue Recherchen zum Tesla-Werk in Brandenburg: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz wirft einen Blick in den aktuellen stern.

Liebe Leserin, lieber Leser,

vorige Woche saß ich in einem Zug von Berlin nach Hamburg, der Verspätung hatte, mehr als 90 Minuten. Eine offenbar schwermütige Kuh war vor eine Lok gelaufen, dadurch kam alles durcheinander. In diesem Zug saß auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Beides ist wenig ungewöhnlich, weder die Zugverspätung noch der Umstand, dass der Grüne Habeck Bahn fährt, selbst wenn seine Sicherheitsbeamten das nicht so gern sehen. Und doch ertappte ich mich beim Gedanken: Ganz gleich, was Habeck derzeit anpackt, und sei es nur die Reise in die Hansestadt, es haut irgendwie nicht hin. Als Habeck in Hamburg aus seinem Abteil eilte, hielt er den Blick starr geradeaus, auch als Menschen ihn mit dem Handy filmten. Nichts erinnerte mehr an frühere Impressionen vom Wuschelkopf, der zu "Robert"-Rufen ein Bad in Menschenmengen nahm. Ich wäre kaum erstaunt gewesen, hätten die Menschen im Zug ihm lauthals die Schuld an der Verspätung gegeben.

Fast zeitgleich wurde die grüne Außenministerin Annalena Baerbock auf einer Südamerika-Reise vom EU-Asylkompromiss überrascht und geriet gleich in höchste parteiinterne Erklärungsnot. Lange wirkten die Grünen in der zerstrittenen Ampelkoalition fast wie ein bürgerlicher Anker der Stabilität. Doch nun zerlegen sie sich nicht nur in den eigenen Reihen, ihnen könnten auch die Wähler davonlaufen. Was macht das mit ihnen und mit der Bundesregierung? Unser Hauptstadt-Team um Veit Medick und Jan Rosenkranz berichtet über eine Partei, die partout kein Therapiefall sein will, aber trotzdem Therapiestunden braucht.

Neue stern-Recherche zu Tesla

Der Begriff "Putin-Versteher" ist meist als Vorwurf gemeint – gegen jene Menschen, die eigentlich gar nichts so richtig verstehen. Dennoch muss man Fiona Hill unbedingt als Putin-Versteherin bezeichnen, denn die Frau kennt sich aus: Sie hat den russischen Präsidenten getroffen, sie hat ihn jahrelang studiert, sie hat als Beraterin im Weißen Haus die US-Russlandpolitik geprägt. Deswegen ist es umso beunruhigender, wenn Hill drei Punkte sehr offen ausspricht. Erstens: Westliche Geheimdienste wissen viel zu wenig über die Gedanken des russischen Präsidenten. Zweitens: Putins Paranoia hat durch Corona offenbar rasant zugenommen. Drittens: Auf die USA können wir für eine Vermittlungslösung nur bedingt bauen. Donald Trump wäre wohl bereit, die Ukraine zu opfern – und Joe Biden will sein Land vor der Präsidentschaftswahl auf keinen Fall in einen neuen langen Konflikt verwickeln. Ein ernüchterndes, aber erkenntnisreiches Gespräch mit Fiona Hill, Dagmar Seeland und Marc Goergen lesen Sie im aktuellen stern.

Im März dieses Jahres schrieb Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke einen Brief an Tesla-Chef Elon Musk. Er liest sich wie ein Bittschreiben, der Multimilliardär solle nicht das Interesse an Brandenburg verlieren. "Dear Mr. Musk", beginnt der Brief, in dem der SPD-Politiker seine "Dankbarkeit" für die E-Auto-Fabrik betonte, die Musk in Grünheide, östlich von Berlin, eröffnet hat und in der bereits 10.000 Menschen arbeiten. Seit einigen Monaten allerdings stockten die Ausbaupläne. Auch weil Musk sein Werk in eine der trockensten Regionen Deutschlands gebaut hatte und der lokale Versorger warnte: Für die geplanten Ausbaustufen sei schlicht kein Wasser da. Woidke aber versprach Musk, er und sein Kabinett seien "sehr engagiert", die "Probleme für Sie vor dem Sommer zu lösen". Recherchen von Manka Heise, Tina Kaiser, Kristina Ratsch und Christian Esser für den stern legen offen, mit welchen unorthodoxen Methoden Woidke und seine Regierung offenbar versucht haben, Wasser für den Autobauer und andere Industrieansiedlungen zu organisieren. Dafür hebelten Politiker in Brandenburg womöglich das Landesumweltamt aus. Die Trinkwasserversorgung der lokalen Bevölkerung ist in Gefahr – und die Akte Tesla um ein bedenkliches Kapitel reicher. Es werden sicher weitere folgen.

Erschienen in stern 25/2023