GroKo-Bildung Geschacher um Ministerposten? Ein Politikwissenschaftler widerspricht

Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann
Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann zieht im Konkurrenzkampf um die Posten den Vergleich zwischen Politik und Wirtschaft
© C. Rauh
Bei den Koaltionsverhandlungen zur Groko haben führenden Figuren gegen den Grundsatz "Erst das Land, dann die Partei" verstoßen, sagen kritische Stimmen. Von Postengeschacher ist die Rede. Völliger Unsinn, findet ein Politikwissenschaftler.

Herr von Alemann, bei der Koalitionsbildung geht es momentan auch um die Verteilung der Ministerien. Kritische Stimmen behaupten, dabei guckten die Beteiligten zu sehr darauf, dass sie selbst gut unterkommen. Ist so ein Postengeschacher undemokratisch?

Zunächst einmal möchte ich mich gegen den Begriff wehren. Auf "Postengeschacher" reagiere ich allergisch. Im Vorstand der Deutschen Bank, von VW oder selbst der römisch-katholischen Kurie rollen auch mal die Köpfe. Aber selbst wenn dort mit Intrigen und harten Bandagen um die Positionen gekämpft wird, spricht keiner von Postengeschacher. Dieses Wort kommt meist nur ins Spiel, wenn es um Politik geht. Das gefällt mir nicht.

Welchen Begriff würden Sie denn wählen?

Natürlich gibt es dort Konkurrenz um Positionen und die führt auch zu Verletzungen, also menschlichen. Aktuell kann man das wieder beobachten am Beispiel Gabriel/Schulz. Zwischen den beiden gibt es offensichtlich Probleme. Aber Geschacher ist für mich eine populistische Formulierung.

Aber es gibt ja den Vorwurf, dass die GroKo-Verhandler zu sehr auf sich selbst geschaut haben. Schulz drangen die Vorwürfe sogar zum Rückzug vom avisierten Posten. Haben Politiker zu sehr die Frage im Blick: Wo komme ich unter? Ist das undemokratisch?

Nach meiner Wahrnehmung haben die Parteien gerade zwei Wochen lang über Inhalte gerungen und erst in der letzten Nacht ging es dann um die Posten. Diese Fragen mussten natürlich auch geregelt werden. Aber das sind die zeitlichen Proportionen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es im Hintergrund die ganze Zeit um Posten ging. In der Öffentlichkeit und in den Parteien wurde durchgehend um Inhalte gestritten, nicht um Personalfragen. Dass man dann sagt "Das ist alles undemokratisch" kann ich nicht nachvollziehen. Irgendwie müssen die ja eine Entscheidung finden.

Ulrich von Alemann

Ulrich von Alemann ist ein 1944 geborener Politikwissenschaftler. Nach Stationen an der Universität Duisburg und der Fern-Uni Hagen wechselte er 1998 an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dort leitete er den Lehrstuhl Politikwissenschaft II. Seit seiner Emeretierung 2014 übernimmt er weiterhin Aufgaben in Forschung und Lehre und Sonderaufgaben des Rektorates.

Wie wird denn in solchen Runden entschieden, wer welches Amt bekommt?

Zum einen spielen da die innerparteilichen Machtverhältnisse eine Rolle. Es kommt aber auch auf persönliche Vorlieben und natürlich auf persönliche Qualifikationen an. Sehr wichtig sind aber die verschiedene Proporzüberlegungen in den Parteien. Also: Welche Region, welches Bundesland ist gut vertreten, welcher Flügel der Partei kommt genügend zum Zuge, etwa der Wirtschafts- und der Arbeitnehmerflügel. In den vergangenen Jahrzehnten kommt auch ganz stark die Frage hinzu: Sind Frauen ausreichend vertreten? Der persönliche Ehrgeiz eines Einzelnen, der nun unbedingt auch was werden will in der Regierung, ist da ganz klar nicht an erster Stelle.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Immer wieder wechseln Minister auch zwischen den Ministerien. Wie wichtig ist die fachliche Qualifikation für einen Ministerposten?

Die ist enorm wichtig. Man braucht eine große fachliche Qualifikation, doch diese ist: die politische Erfahrung. Als Minister sollte man lang in verschiedenen Parlamenten oder Administrationen gearbeitet haben. Man braucht Kenntnisse im Haushaltsrecht, im Personalrecht. So ein großes Ministerium hat über 2000 Mitarbeiter. Die müssen geführt werden, organisiert und begeistert werden. Ob es sich dabei nun um ein Familienministerium oder ein Verkehrsministerium handelt, ist völlig nebensächlich.

Wie ist denn die Struktur in solchen Ministerien?

Es gibt dort viele Fachleute, Abteilungsleiter, Staatssekretäre, die das seit Jahren machen und den Minister beraten können. Aber die generellen Führungsqualitäten für strukturelle Grundsatzentscheidungen braucht der Minister oder die Ministerin - und hat diese in der Regel durch viele Jahre parlamentarischer Arbeit erlernt. Der Chef des Waschmittelkonzerns Henkel ist auch plötzlich zum Sportartikelproduzenten Adidas gewechselt. Da könnte man sich auch fragen: Hat der da überhaupt Ahnung von? Aber das fragt man in der Wirtschaft selbstverständlich nicht. Denn auch dort geht es um strukturelle Qualifikationen, die einem erlauben, eine Führungsrolle in verschiedenen Branchen auszufüllen.

Am Beispiel Horst Seehofer lässt sich auch das Phänomen des "Wegbeförderns" gut verdeutlichen. Der CSU-Chef war in seinem Bundesland am Wackeln und darf nun zur Belohnung nach Berlin. Wie kann man sich so etwas erklären?

Seehofer war in Bayern tatsächlich schwer unter Druck geraten, musste seinen Ministerpräsidentenposten früher abgeben, als er es geplant hatte. Es wurde dann bereits wochenlang spekuliert, dass er sich mit einem Posten in Berlin dafür entschädigen wolle. Er ist ja auch weiterhin Parteivorsitzender und hatte somit in der CSU den ersten Zugriff. Das ist schon eine etwas stärkere Versorgungsentscheidung, man kann sogar sagen Entsorgungsentscheidung. Seehofer ist ja bereits am Ende seiner Karriere angekommen.

Warum werden solche Entscheidungen getroffen?

Also einmal aus Respekt vor den Leistungen während der politischen Karriere. Aber in Bayern kommt immer noch ein weiterer Aspekt hinzu: Im Herbst sind dort Landtagswahlen und Seehofer ist noch immer ein allseitsbeliebter Landesvater und ein Zugpferd für den Wahlkampf. Solange er wenigstens noch Bundesminister ist, kann er da noch stärker Einfluss nehmen. Auch das wird eine Rolle gespielt haben. Für die CSU ist im Zweifel immer die Landtagswahl in Bayern wichtiger als die Bundestagswahl.