Grünen-Parteitag "Ich möchte auf Sieg spielen"

Mit einer kämpferischen Rede hat Außenminister Fischer versucht, seiner Partei Mut zu machen für den bevorstehenden Wahlkampf. Dabei war vor allem einer auch im Berliner Velodrom allgegenwärtig: Oskar Lafontaine.

Joschka Fischer, der Spitzenkandidat der Grünen im vermutlich anstehenden Wahlkampf, sieht seine Partei als Alternative für enttäuschte SPD-Wähler. "Wir müssen auch die Sozialdemokraten willkommen heißen", sagte er am Samstag bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im Berliner Velodrom. Auch müsse die Partei sich darum bemühen, potenzielle Wähler des Linksbündnisses von PDS und WASG zurückzugewinnen. "Wir müssen diesen linksgetarnten Rechtspopulismus knallhart konfrontieren", sagte der Außenminister. "Auch da sollten wir unsere Arme weit öffnen und sie willkommen heißen."

Streit über höhere Mehrwertsteuer

Auf ihrem zweitägigen Parteitag in Berlin wollen die rund 850 geladenen Delegierten ihr Wahlprogramm für den vermutlich anstehenden Wahlkampf beschließen. Bereits vor einigen Wochen hatte der Parteivorstand einen 52-seitigen Entwurf vorgestellt. Dieser sieht eine Reichensteuer vor, konzentriert sich aber auch auf Vorschläge zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Lohnnebenkosten für Geringverdiener sollen gesenkt und staatlich bezuschusst werden. So sollen neue Einstellungen für Arbeitgeber günstiger und attraktiver werden. Überdies fordern die Grünen die Einrichtung eines Elterngelds. Umstritten ist die Gegenfinanzierung dieser Projekte. Während sich die Minister Jürgen Trittin und Renate Künast klar gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgesprochen haben, stützt Fraktionschefin Krista Sager einen entsprechenden Vorschlag. Insgesamt gibt es rund 1000 Anträge, die Änderungen an dem Entwurf fordern.

Spagat zwischen Linken und Liberalen

Der Parteitag hat für die Partei eine zentrale Bedeutung. Den Grünen, die bisher lediglich als Öko-Partei gelten, müssen ihr arbeitsmarktpolitisches Profil schärfen. In diesem Bereich hat die Partei erhebliche Defizite. Darüber hinaus muss sie Wähler auf der Linken anziehen - von SPD und Linksbündnis - ohne jedoch ihre liberale Klientel zu verschrecken. Dieser Spagat soll mit dem Programm bwältig werden, das der Bundesvorstand unter das Motto "Solidarische Modernisierung und ökologische Verantwortung" gestellt hat. Vor diesem Hintergrund sind auch Fischers Äußerungen zu verstehen. Erstmals hat der Außenminister jedoch die Grünen als klare Alternative zur SPD dargestellt.

Plädoyer für grüne Außenpolitik

Fischer verwies in seiner Rede auf die Bedeutung rot-grüner Außenpolitik. Gerade angesichts der Anschläge in London müsse sich Deutschland für die Auseinandersetzung mit den Terroristen wappnen. "Wir werden diese terroristische Netzwerke zerstören müssen. Das wird eine sehr lange, sehr harte Auseinandersetzung", sagte der Außenminister. "Das macht klar, wie wichtig Frieden, wie wichtig eine internationale soziale Ordnung ist, die auf Gerechtigkeit gründet." Dafür setze sich die rot-grüne Bundesregierung ein. "Es gibt in der Bevölkerung ein großes Vertrauen für unsere Außen- und Friedenspolitik", sagte Fischer.

Jobs schaffen mit Ökologie

Im arbeitsmarktpolitischen Teil seiner Rede sagte Fischer, die Grünen müssten ihre Bestrebungen, Jobs zu schaffen, mit ökologischen Zielen verbinden. "Die Arbeitslosigkeit wird nur zu überwinden sein, wenn es gelingt, neue Arbeitsplätze zu schaffen", sagte Fischer - "und das wird nicht ohne die Ökologie möglich sein." Auch in Fischers Rede blieb erkennbar, dass die Grünen zwar einen Image-Wechsel anstreben, jedoch auf ihr Markenzeichen - die Ökologie - nicht verzichten zu wollen. Anders als die Union, die eine Kehrtwende in der Atompolitik anstrebt, beharren sie auf die Förderung erneuerbarer Energien. Dies sei ein wichtiger Weg, um Arbeitsplätze zu schaffen, sagte Fischer. "Die Zukunft der Arbeitsplätze ist, dass wir die erneuerbaren Energien so voranbringen, dass wir sie marktfähig machen, dass sie Arbeitsplätze schaffen." Auch Grünen-Chefin Claudia Roth hatte sich davor dazu bekannt, der Arbeitsmarktpolitik einen hohen Stellenwert einzuräumen. "Ja, wir wollen Vorfahrt für Arbeit, aber keine blinde Raserei", sagte sie. Sie setzte sich für eine Mindestlohnregelung sowie eine Ausweitung des Entsendegesetzes ein.

Harsche Kritik an Lafontaine

Harsche Kritik äußerte der Außenminister an Oskar Lafontaine. Dieser gehe mit rechtsradikaler Rhetorik auf Stimmenfang. "Ich kann diese opportunistischen Analysen nicht mehr lesen", sagte Fischer. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Möllemann plötzlich zum Ziehvater der Linken erklärt wird." Ähnliche Kritik an Lafontaine äußerte Roth. "Rechtsaußen bekämpft man nicht mit rechten Sprüchen", sagte sie. "Das ist nicht links, das ist Demagogie". Roth griff die sicherheitspolitischen Konzepte der Union nach den Anschlägen von London scharf an. Sie bezichtigte den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und den bayerischen Innenminister Günther Beckstein, mit Ängsten Wahlkampf zu betreiben. Eine Grundgesetzänderung, die einen Einsatz der Bundeswehr im Innern ermöglicht, wie die Union sie vorgeschlagen hat, lehnte Roth ab.

Umfassendes Gerechtigkeits-Konzept

Auch mit ihrem Konzept von Gerechtigkeit wollen die Grünen sich abheben. Im Zeitalter der Globalisierung bedürfe es eines neuen Verständnisses von Gerechtigkeit, sagte Fischer. "Gerechtigkeit bedeutet Verteilungsgerechtigkeit, Zugangsgerechtigkeit und Generationengerechtigkeit", sagte er. Dabei stellte Fischer, der auch für die Einführung der Bürgerversicherung warb, Union und FDP als gefühlskalte Neoliberale dar. Er kritisierte den Vorschlag, ein System von Kopfpauschalen einzuführen. "Es macht doch keinen Sinn, wenn wir die Umverteilung von unten nach oben in der gesetzlichen Krankenversicherungen betreiben", sagte Fischer.

Begeistern konnte Fischer nicht

Fischer forderte die Delegierten auf, sich voll auf den Wahlkampf zu konzentrieren. Dieser sei noch nicht verloren. "In den Zahlen ist noch viel Luft drin", sagte Fischer."Wir haben jede Chance auf ein sehr gutes Ergebnis. Ich spiele auf Sieg." Die Voraussetzung für einen Erfolg sei allerdings Geschlossenheit. Nach seiner Rede erhielt der Außenminister lang anhaltenden, wenn auch eher pflichtgemäßen, Beifall. Mitreißen, begeistern konnte Fischer die Delegierten jedenfalls nicht.