Esken macht Zugeständnis an Union Impfpflicht-Abstimmung im Bundestag: Kommt womöglich alles ganz anders?

Deutscher Bundestag
Am Donnerstag, 7. April, will der Bundestag über die allgemeine Impfpflicht abstimmen. Gut möglich, dass es dort eine überraschende Konstellation gibt
© Michael Kappeler / DPA
Die Lage in der Impfpflicht-Debatte ist verfahren. Kein Vorschlag, so scheint es, findet im Parlament eine ausreichende Mehrheit. Vor der Abstimmung in der kommenden Woche lässt ein Interview von SPD-Chefin Saskia Esken aufhorchen. Plötzlich könnte die Union als Gewinner dastehen.

Im Zuge des Ukraine-Kriegs ist die strittige Debatte über eine allgemeine Impfpflicht nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Das dürfte sich jedoch spätestens in der kommenden Woche ändern. Dann steht am 7. April die Abstimmung im Deutschen Bundestag über das Thema auf der Tagesordnung. Und derzeit ist noch völlig ungewiss, wie das Parlament über die vorliegenden Anträge befindet.

Für Bundeskanzler Olaf Scholz ist der Termin nicht ganz ohne Bedeutung. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern seines Kabinetts, wie etwa Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Vizekanzler Robert Habeck, hatte sich Scholz als klarer Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht zu erkennen gegeben. Allerdings hatte die Ampel-Koalition keinen eigenen Antrag in die Debatte eingebracht, weil insbesondere bei der FDP der Widerstand gegen die Impfpflicht groß ist. Stattdessen legte Scholz das Thema in die Hände des Parlaments, es folgte eine Orientierungsdebatte, inzwischen liegen diverse Gruppenanträge auf dem Tisch, über die am kommenden Donnerstag abgestimmt werden soll.

Das Problem für Scholz: Derzeit zeichnet sich für keinen Antrag eine parlamentarische Mehrheit ab, insbesondere nicht für eine allgemeine Impfpflicht, für die sich der Kanzler persönlich eingesetzt hatte. Wie schon zuletzt beim Auslaufen der allgemeinen Corona-Maßnahmen könnte erneut der Eindruck entstehen, dass ausgerechnet der kleinste Koalitionspartner FDP der Ampel in zentralen Fragen seinen Willen aufzwingen kann. Für Scholz, der seinen Führungsanspruch gern demonstrativ ausstellt, sicher keine angenehme Vorstellung.

Esken deutet bei Impfpflicht Annäherung an Union an

Vor diesem Hintergrund kommen jetzt von SPD-Chefin Saskia Esken Signale, die aufhorchen lassen. In einem Interview mit dem Nachrichtenportal "t-online" deutet Esken erstmals ein Kompromiss mit der Union in der Impffrage an. "Eine stufenweise Umsetzung der Impfpflicht ist ein Ansatz, dem man sich annähern kann", sagte Esken in dem Gespräch. Auch die Forderung der Union nach einem Impfregister hält Esken für "vernünftig". "Aber man darf es nicht zur Voraussetzung machen – denn dafür fehlt uns die Zeit. Man könnte aber parallel zur Umsetzung der Impfpflicht ein Impfregister aufbauen." Esken betonte: "Insgesamt kann ich mir gut vorstellen, dass wir da zusammenkommen."

Ein solches Zusammengehen wäre eine ziemliche Überraschung. Denn bislang hatten Scholz und andere Impfpflicht-Befürworter den Gesetzesentwurf von Abgeordneten aus der Ampelfraktion unterstützt, der eine Impfpflicht für alle Erwachsenen ab 18 Jahren vorsieht. Sie soll vom 1. Oktober 2022 an gelten und bis 31. Dezember 2023 befristet werden. Eine weitere Ampel-Gruppe um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann tritt für eine altersbezogene Impfpflicht ab 50 Jahren ein. Eine interfraktionelle Gruppe um den FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki hat darüber hinaus einen Antrag mit einem Nein zur Impfpflicht formuliert.

Union will quasi ein Impfpflicht auf Vorrat

Der Vorschlag der Unionsfraktion, an den Esken sich eine Annäherung vorstellen kann, sieht zunächst den Aufbau eines Impfregisters vor. Zudem soll es einen "gestuften Impfmechanismus" geben, der bei verschärfter Pandemielage vom Bundestag in Kraft gesetzt werden kann und eine Impfpflicht nach sich ziehen könnte – allerdings nur für besonders gefährdete Bevölkerungs- und Berufsgruppen. Eine Impfpflicht auf Vorrat quasi.

Nach wie vor läuft die Impfkampagne in Deutschland eher schleppend. Am Montag wurden lediglich 33.000 Impfdosen verabreicht. Zum Vergleich: Vor Weihnachten ließen sich an einem Tag noch 1,6 Millionen Menschen immunisieren. Die aktuelle Impfquote bewegt sich nur noch im Promille-Bereich nach oben, gestern lag sie bei 75,9 Prozent. Zu wenig, fürchten Wissenschaftler, um vor einer erneuten Corona-Welle im kommenden Herbst ausreichend Schutz zu gewähren.

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Fraglich ist allerdings, ob die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen noch vorliegen, die eine Impfpflicht überhaupt erlauben würden. Eine verpflichtende Impfung stellt unzweifelhaft einen Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit dar. Dieses Recht konkurriert mit der Pflicht des Staates, das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen. Ob und unter welchen Bedingungen diese Pflicht schwerer wiegt als das Grundrecht des Einzelnen dürften am Ende die Verfassungsrichter entscheiden. Die bisher gefällten Urteile etwa zu den Corona-Einschränkungen lassen zwar darauf schließen, dass die Richter bereit sind, dem Staat einen gewissen Spielraum bei seinen Maßnahmen zuzugestehen.

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Impfpflicht letztlich eine Frage für Verfassungsrichter

Ob das allerdings auch für die Impfpflicht gilt, ist völlig ungewiss. Erst recht, da sich durch die zunehmende Verbreitung der Omikron-Variante die Rahmenbedingungen im Vergleich zum Beginn der Impfpflicht-Debatte noch einmal stark verändert haben. So scheint das Risiko für eine schwere Erkrankung deutlich geringer zu sein als bei den Varianten zuvor. Was eine Impfpflicht womöglich obsolet machen würde. Und ob man einen so schweren Grundrechtseingriff tatsächlich mit potenziell gefährlicheren Virusvarianten begründen könnte, die womöglich in der Zukunft auftauchen, erscheint zweifelhaft.

So könnte sich bei Scholz, Lauterbach und Co. die Einsicht durchsetzen: Besser mit der Union zusammen eine Impfpflicht unter Vorbehalt als gar keine. Friedrich Merz freut das!