Der "Davos Man" ist eine Wortschöpfung des US-Politologen Samuel Huntington (der uns auch den "Kampf der Kulturen" beschert hat). Vor mehr als zwei Jahrzehnten beschrieb er damit Menschen, für die die Globalisierung nur Vorteile gebracht hat. Menschen, die grenzenlos durch die Welt schweben, keine Heimat mehr kennen – die sich aber einmal im Jahr in Davos beim Weltwirtschaftsforum treffen, natürlich ausschließlich mit anderen Globalisierungsgewinnern.
Ich war dieses Jahr beim Schweizer Forum dabei und kann sicher sagen: Den "Davos Man" gibt es so nicht mehr. Das hat nicht nur damit zu tun, dass mittlerweile 27,5 Prozent der Teilnehmer und gar 42 Prozent der Redner dort Frauen sind. Sondern eher damit, wie sehr selbst beim Treffen im Bergidyll "Globalisierung" zum schmutzigen Wort geworden ist. Dass diese nicht nur Gewinner hervorgebracht hat, ist sogar beim hartgesottensten "Davos Man" angekommen. Also charmierte Chinas Vizepremier Liu He zwar, sein Land werde sich nach drei Jahren Corona-Abschottung wieder öffnen – aber frohlocken mochte kaum jemand der rund 600 anwesenden Vorstandschefs, so unsicher wirkt die Abhängigkeit vom autokratisch geführten chinesischen Markt. Also zelebrierten amerikanische Unternehmen wie Meta zwar ihre virtuellen Wunderwelten, doch die Politikprominenz aus den Staaten blieb lieber daheim.
"Röstli" statt "Rösti": Deutsche Politiker in Davos
Deutschland dagegen, immerhin lange Exportweltmeister, fiel weniger durch Firmenpräsenz auf als durch Politikerauftritte. Wirtschaftsminister Robert Habeck nannte seinen Schweizer Politkollegen "Röstli" statt "Rösti" – und Finanzminister Christian Lindner donnerte selbstgewiss vom Podium, wir alle seien doch auch in der Krise Piloten, nicht Passagiere. Letzteres klang schon fast wieder nach "Davos Man".
Olaf Scholz wiederum nutzte seinen Auftritt, um das zu tun, was Olaf Scholz am besten kann: Olaf Scholz loben. Die Davoser Rede des Kanzlers geriet zu einer länglichen Belehrung, warum der Standort Deutschland hervorragend dastehe, allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz. Die Frage, ob Deutschland auch als Führungsnation gerade hervorragend dastehe, wollte Scholz nicht beantworten. Der Kanzler schweigt, wohl auch, weil er Zurückhaltung in der deutschen Bevölkerung zu mehr Ukraine-Engagement spürt. Vielleicht liegt diese Zurückhaltung einfach daran, dass Scholz seine Strategie nicht erklärt. In einer Forsa-Umfrage für den stern hält ihn nur noch ein Viertel der Deutschen für führungsstark. "Deutschland, der peinliche Partner", so hieß unser Titel vorige Woche. Wir ahnten selber nicht, wie haltbar die Zeile sein würde.
Der Brandstifter Erdoğan
Der Titel dieser Woche geriet zur Hängepartie. Bis zum Redaktionsschluss war nicht sicher zu erfahren, ob Recep Tayyip Erdoğan schon bald nach Deutschland reisen wird. Dass der türkische Präsident aber seinen Einfluss auf viele ihm wohlgesinnte Deutschtürken für seinen anstehenden Wahlkampf nutzen möchte, gilt als gewiss. Und auch, dass er national wie international ein Unruhe- bis Brandstifter bleiben will, wie unser Titelteam rund um Türkei-Korrespondent Jonas Breng und Reporter Nicolas Büchse für Sie recherchiert hat.
Und wo bleibt das Positive? Ich gebe zu, dass ich in jungen Jahren Boris Becker für den größten lebenden Philosophen hielt. Dass der Tennis-Altmeister ausgerechnet im Knast offenbar zu den großen Denkern gefunden hat, erfüllt mich mit tiefer Freude. Die ganze Bum-Bum-Philosophie lesen Sie nur hier.