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Integrations-Debatte "Das ist unser gemeinsames Land"

Türkische Schulen in Deutschland sind keine Lösung, sagt die in Istanbul geborene Bundestagsabgeordnete Lale Akgün. Im stern.de-Interview spricht sich die SPD-Politikerin für Ganztagsschulen aus und kritisiert die Rede des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Frau Akgün, wie sehr ist das deutsch-türkische Verhältnis durch den Besuch von Erdogan belastet?

Die deutsch-türkischen Beziehungen sind sehr strapazierfähig, die sind nicht so schnell belastet durch Erdogan und seine Aussagen. Es leben hier so viele Menschen aus der Türkei, die gut integriert sind und sich wohl fühlen, daran kann auch eine Rede von Herrn Erdogan so leicht nichts ändern.

Kritische Stimmen kommen vor allem aus der CSU.

Das ist ein Reflex der CSU. So bald etwas ist, sagt die CSU, die Türkei soll nicht in die EU aufgenommen werden. Aber die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei werden in Brüssel geführt und nicht von der CSU-Generalsekretärin. Wenn der Transformationsprozess in der Türkei abgeschlossen ist, werden die Verhandlungen irgendwann auch beendet, und dann wird entschieden. Es sind ja Verhandlungen mit einem offenen Ende. Diese ständigen Reflexe der CSU sind ermüdend.

Sie waren in Köln und haben die Rede von Erdogan gehört. Wie beurteilen Sie die Rede und das Medienecho?

Die Rede war deswegen interessant und hat solche Reaktionen ausgelöst, weil sich ein ausländischer Ministerpräsident in Deutschland zum Thema Integration geäußert hat. Ich habe immer gesagt, auch zu Kollegen aus der Türkei, Integration ist unsere Sache, das ist Innenpolitik. Wir brauchen eine maßgeschneiderte Integrationspolitik für Deutschland. Wir brauchen eure Unterstützung hier nicht. Erdogans Vorstellung von Integration unterscheidet sich stark von unserer. Er hat die Vorstellung, die türkische Gruppe soll Deutsch lernen, aber als Gruppe bestehen bleiben. Wir sind der Meinung, dass es keine Gruppenrechte für Minderheiten geben soll, sondern Individualrechte, die für jeden Einzelnen gelten. Das ermöglicht es jedem auch, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen oder die Religion zu wechseln. Jeder kann selbst entscheiden, wie weit er sich assimilieren will.

Zur Person

Lale Akgün wurde 1953 in Istanbul in der Türkei geboren und sitzt seit 2002 für die SPD im Deutschen Bundestag. Die promovierte Psychologin kam im Alter von neun Jahren nach Deutschland, mit 28 hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Neben der Integrationspolitik kümmert sie sich im Bundestag vor allem um Fragen der Europäischen Union. Sie ist verheiratet und hat eine 16-jährige Tochter.

Was halten Sie denn von Erdogans Forderung nach türkischsprachigen Schulen in Deutschland?

Das ist keine Lösung der Bildungsmisere türkischer Kinder hier. Wir haben ein Bildungsproblem, weil wir es vor allem mit Nachkommen bildungsferner Menschen zu tun haben, die auch in der Türkei als bildungsfern gelten. Das Problem kann man nicht lösen, indem man hier türkische Schulen aufbaut. Unser Bildungssystem muss verändert werden. Wir müssen mit der Schule viel früher anfangen, und wir brauchen Ganztagsschulen. Dadurch können wir den Kindern helfen, in unserem Bildungssystem aufzusteigen, aber nicht durch die Trennung von türkischen Kindern, indem wir sie auch noch isolieren.

Erdogan hat seine Landsleute auch aufgefordert, Deutsch zu lernen. Ist das ein richtiger Schritt?

Wenn er sagt, lernt Deutsch, dann ist das richtig. Das unterstützen wir auch. Das begreifen die Menschen aber auch, ohne dass es Herr Erdogan sagt. Jeder, der nach Deutschland kommt, bekommt in Integrationskursen 900 Stunden Deutschunterricht, das ist nicht schlecht.

Wie stark hat die Brandkatastrophe in Ludwigshafen den Besuch Erdogans in Deutschland beeinflusst?

Um es vorwegzuschicken: Die Brandkatastrophe von Ludwigshafen ist ein schreckliches Ereignis, was hoffentlich bald aufgeklärt wird. Mit der Rede in Köln hat das nichts zu tun. In Köln ging es um türkische Innenpolitik und die Integration der Zugewanderten in Deutschland.

Sollte es verhindert werden, wenn ausländische Staatschefs in Deutschland Innenpolitik betreiben?

Es ist Aufgabe der deutschen Außenpolitiker, mit aller Höflichkeit und Bestimmtheit zu sagen, wir lösen unsere innenpolitischen Aufgaben selbst. Wir hören gerne ihre Meinung, aber die gewählten Volksvertreter entscheiden selbst.

Integration spielt in der öffentlichen Diskussion derzeit eine große Rolle, auch wegen des Wahlkampfes in Hessen und der Brandkatastrophe in Ludwigshafen. Nützt das der Politik?

Eigentlich dient das nicht der Sache, denn Integrationspolitik ist Bildungspolitik und Sozialpolitik. Aber der Auftritt von Erdogan hat einen Aspekt deutlich gemacht, über den wir reden müssen, nämlich die Idee von einem gemeinsamen Deutschland. Wir müssen den Menschen sagen, ihr gehört zu uns, das ist unser gemeinsames Land. Und nicht dass Herr Erdogan sagt, wer als Türke geboren ist, bleibt Türke. Es hat mich sehr beeindruckt, dass Frau Merkel gesagt hat, ich bin die Kanzlerin auch der hier lebenden Türken. Vor neun Jahren hat Bundespräsident Rau bei seinem Amtsantritt noch große Empörung bei der CDU ausgelöst, als er sagte, er wolle ein Präsident für alle Menschen in Deutschland sein. Ich hoffe, dass die Worte von Angela Merkel für ein Umdenken in der CDU stehen und damit auch Wahlkämpfe wie der in Hessen der Vergangenheit angehören.

Interview: Markus Baluska

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