Der "Cut" passte auf Anhieb, nur die Ärmel musste die Schneiderin nach der Anprobe im Schloss Bellevue noch kürzen. Dann glitt der 1,94 Meter große Mann aus Bayern geschmeidig in den lang gezogenen Gehrock, den das Protokoll für offizielle Staatsakte verlangt - als wäre nichts gewesen.
Es folgten 30 Tage, in denen Horst Seehofer die Zeit bis zum neuen Präsidenten überbrückte. Joachim Gauck ist längst gewählt, er wird nun bedeutende Reden halten, zur Freiheit im Allgemeinen und Besonderen. Wir aber sollten jenen Mann nicht vergessen, der "in Wahrnehmung der Befugnisse des Bundespräsidenten gemäß Artikel 57 GG" dem Land aus einer personellen Verlegenheit half.
Diese 30 Tage sind mehr als ein Wimpernschlag der Geschichte. Sie sollten sich als Glücksfall erweisen, denn Seehofer schaffte, was viele ihm nicht zugetraut hätten: So gewandt wie er das pinguinähnliche Gewand anlegte, so elegant schmiegte er sich in sein Amt als Ersatz-Staatsoberhaupt, Fotos beweisen es. Eine bajuwarische Kraftnatur als Staatsoberhaupt, ecce homo! Seht, welch ein Mensch!
"Wir beschränken uns auf das absolut Notwendige. Er will nicht den Eindruck erwecken, dass er sich so wahnsinnig freut, dass er es jetzt ist", hieß es in seiner Umgebung. Tatsächlich hat er sich sehr beschränkt, dem Rennfahrer Sebastian Vettel das Silberne Lorbeerblatt verliehen, von sieben Botschaftern die Beglaubigungsschreiben empfangen. Dann noch der Zapfenstreich für Christian Wulff, das war es im Wesentlichen. Und doch: Er hat sich schon sehr gefreut, dass er es war. Vettel war gerade weg, da postete Seehofer bei "Facebook" zwei Fotos - das eine zeigt ihn mit dem Formel-1-Star, das andere am Präsidenten-Schreibtisch, in würdevoller Staatlichkeit ein Schriftstück studierend.
Seehofer, der lässige Übergangspräsident
Entscheidend ist nicht, was er machte, sondern wie. Das hohe Amt besorgte der aus München herbeigeeilte Mann mit einer gewissen Lässigkeit, um nicht zu sagen: südlichen Grandezza. Man spürte stets das nahe Italien. Nach dem notorisch beleidigten Köhler und Schnäppchenjäger Wulff schenkte uns dieser Übergangspräsident so etwas wie Entschleunigung. Vier Wochen lang kein Rücktritt. Und auch keine Reden über den "Zusammenhalt der Gesellschaft" oder die deutsche Schuld. Das war sehr schön.
Beständig trug er ein mokantes Lächeln im Gesicht und war nur einmal überrascht: als ihm die Botschafterin von Burkina Faso in einem herrlich grünen Gewand mit gelben Blumen gegenübertrat. Was haben seine Augen nicht schon alles gesehen: Stoibers Sturz, Merkels Aufstieg, Strauß und Kohl. Aber so ein Kleid wie das von Ihrer Exzellenz Marie Odile Bonkoungou Balima - das hatten diese Augen kaum je gesehen.
Vielleicht ist etwas in ihm passiert. 580 Kilometer liegen zwischen Bellevue und Bayerischer Staatskanzlei. Seehofer legte sie im Auto zurück - im Schutz der gepanzerten Limousine ist er, der die Volksnähe zum politischen Prinzip erhoben hat, vor den Zudringlichkeiten ebenjenes Volkes sicher. Es könnte hier zu Momenten stiller Kontemplation gekommen sein. Zu Momenten, in denen er sich sagte: "Was wäre, wenn ich ein ganz anderer wär'?"
Anders ist nicht zu erklären, dass er nun ankündigt, "viel mehr auch die geistigen Grundlagen unseres Tuns zu vermitteln, weniger zu polarisieren, sich nicht zu sehr in den parteipolitischen Alltagsstreit zu begeben." Das ist nun wirklich herrlich! Seehofer!!! Kann das wahr sein? Er ist doch nie einer gepflegten parteipolitischen Wirtshauskeilerei aus dem Wege gegangen. Noch 2011 holzte er gegen die "Stasi-Kommunisten" der Linkspartei und gelobte, "bis zur letzten Patrone" gegen schmarotzende Zuwanderer zu kämpfen.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Pfüati, Horst
Jetzt also Gauck, dazu Merkel. Beide im evangelischen Pfarrhaus sozialisiert, beide geradezu idealtypische Vertreter dieses Milieus mit seinem Hang zu gedankenschwerer Innerlichkeit (Gauck) und pietistischem Arbeitsfleiß (Merkel). Nichts gegen den Protestantismus. Aber diese Atmosphäre von Gewissenspein und Pflichtenstrenge ist auf die Dauer anstrengend. Alles ist immer so bedeutend, so bedrückend.
Anders bei ihm. In der augenzwinkernden Leichtigkeit dieses Mannes fand die Republik noch einmal zu ihren süddeutsch-katholischen Wurzeln aus Bonner Zeiten zurück. Und damit auch ein wenig zu sich selbst. Er sagt jetzt zum Abschied leise "Servus" und teilt geschwind noch mit, dass es Edmund Stoiber war, der Gauck schon 1999 für das höchste Amt ins Spiel brachte. Jetzt wissen wir es also genau. Gauck ist eine Erfindung der CSU, die wollte ihn immer schon, eigentlich und irgendwie. So macht man das. So einfach kann das Leben sein, so schön und leicht - er hat es gezeigt. Dafür gebührt ihm unser aller Dank. Also: Pfüati, Horst! Und ein herzliches Vergelt's Gott!